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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Lippen. »Statt dass die Sonne stillsteht und sich die Erde um sie herum dreht, kommt es mir eher so vor, dass es Euer Kopf ist, in dem sich alles dreht, und Euer Hirn, das nie stillsteht.«
    Er drehte sich zu den Fellows hin, um deren Beifall einzuheimsen, und wurde nicht enttäuscht; Lachsalven erschollen, und es dauerte ein Weilchen, bis ich mir für meine Erwiderung erneut Gehör verschaffen konnte.
    Zu meinem Bedauern muss ich bekennen, dass die Disputation für mich nicht erfolgreich verlaufen ist, und werde meine Leserschaft nicht mit Einzelheiten langweilen. Es lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass Doktor Underhill immer wieder die alten, abgedroschenen Argumente zugunsten der Theorien von Aristoteles vorbrachte – er verlangte keinen anderen wissenschaftlichen Beweis für seine Behauptungen als das Gewicht scholastischer Autorität – als könne die Kirche niemals irren – und verstieg sich an einer Stelle sogar zu der Vermutung, Kopernikus habe seine Theorie nie wortwörtlich verstanden wissen wollen, sondern sie nur als Metapher zur Hilfe bei mathematischen Berechnungen entwickelt. All diese Argumente hatte ich schon vorher oft gehört und abgeschmettert, und zwar vor einem besseren Publikum als diesem hier, an diesem Nachmittag jedoch bekam ich kaum Gelegenheit dazu, denn Underhill schien die Zuhörer nicht durch seine Redekunst beeindrucken
zu wollen (die meisten waren ohnehin seiner Meinung und brachten noch nicht einmal die Höflichkeit auf, meinen Schlussfolgerungen aufmerksam zu lauschen), sondern er legte es eindeutig darauf an, mich lächerlich zu machen und vor seinen Kollegen bloßzustellen. Dies schien ihre Vorstellung von Unterhaltung zu sein – die Manieren des Publikums waren so schlecht, dass es sich während unseres Schlagabtausches meist ungeniert unterhielt oder seine unmaßgeblichen Kommentare abgab. Ich steckte gerade in einer leidenschaftlichen Erörterung komplexer mathematischer Lehrsätze, als ich von einem alarmierenden Geräusch unterbrochen wurde, das wie das Knurren eines Hundes klang. Da ich nach den Ereignissen des Morgens übermäßig empfindlich auf solche Laute reagierte, schrak ich zusammen, fuhr herum und stellte fest, dass es von dem Palatin kam, der laut schnarchte – hatte aber den Faden verloren. Kurz darauf wurden wir von einem vernehmlichen Schlurfen gestört, als sich ein Undergraduate seinen Weg durch die Reihen der Fellows bahnte, um die Aufmerksamkeit eines von ihnen auf sich zu lenken. Es stellte sich heraus, dass er Doktor Coverdale gesucht hatte, der, offenbar einer dringenden Aufforderung folgend, augenblicklich seinen Platz in der Mitte der Reihe verließ und sich theatralisch flüsternd bei allen Leuten zwischen ihm und der Tür entschuldigte, die sich erheben mussten, um ihn durchzulassen. Zwar hätte ich nie erwartet, dass Coverdale sich meinethalben irgendeine Zurückhaltung auferlegen würde, gleichwohl überraschte es mich, dass er die Unhöflichkeit aufbrachte, seinen eigenen Rektor mitten in der Debatte einfach stehen zu lassen.
    Wir quälten uns mühsam auf ein Ende zu, das man nicht als Abschluss bezeichnen konnte. Ich fasste meine eigenen komplexen Berechnungen des relativen Durchmessers des Mondes, der Erde und der Sonne in Worte, die sogar ein Idiot verstehen konnte, und zur Antwort wiederholte Underhill nur die alten falschen Auffassungen, die all jene vertraten, die Wissenschaft und Theologie in einen Topf warfen und die Heilige Schrift als
absolute Grundlage wissenschaftlicher Forschungen betrachteten. Er spielte auch wiederholt auf meinen Status als Ausländer an, den er mit geringerer Intelligenz gleichsetzte, und beharrte darauf, dass Kopernikus ebenfalls Ausländer war und als solcher nicht über die solide Argumentationsgabe eines Engländers verfügte – wobei er anscheinend vergaß, dass diese ganze jämmerliche Vorstellung nur zu Ehren von Kopernikus’ königlichem Landsmann stattfand. Ich war nur froh, dass alles vorüber war, und quittierte den unaufrichtigen Beifall mit einer knappen Verbeugung; verletzt und mit dem Gefühl, erniedrigt worden zu sein, kletterte ich von meiner Kanzel.
    Als sich die Halle leerte, brachte keiner der Fellows den Mut auf, mir in die Augen zu sehen. Stumm blieb ich unter einem der Fenster sitzen; ich wollte warten, bis alle die Halle verlassen hätten, um mich nicht weiterem Spott – oder, noch schlimmer, Mitgefühl – auszusetzen. Irgendwann sah ich Sidney vom Podium steigen, er

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