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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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sie sich. Coverdale funkelte ihn einen Moment lang finster an. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Ärger und Besorgnis, hinterher setzte er mir zuliebe ein Lächeln auf, nahm mich am Ellbogen und geleitete mich zur rechten Seite der Eingangstür, fort von dem durchdringenden Blick dieses Mannes.
    »Danke, dass Ihr unseren Gast sicher hierhergebracht habt, Weston – Ihr könnt Euch jetzt zu Euren Freunden gesellen«, sagte er freundlich zu meinem jungen Führer, obwohl er sichtlich blass geworden war. Weston verneigte sich vor mir, ehe er die Stufen hinaufstürmte und im Gedränge verschwand.
    »Doktor Bruno, könnte ich noch kurz mit Euch sprechen, bevor wir hineingehen?«, murmelte Coverdale. »Keine Sorge, wir
haben Zeit – unser königlicher Besucher ist noch nicht eingetroffen, und ohne ihn können wir nicht beginnen.«
    Dem Palatin sah es ähnlich, sich noch nicht einmal aus Höflichkeit mir gegenüber die Mühe zu machen, rechtzeitig zu erscheinen. Also setzte ich eine Miene höflicher Zuvorkommenheit auf und nickte Coverdale aufmunternd zu. Es schien ihm schwerzufallen, mit der Sprache herauszurücken.
    »Bezüglich des Todes des armen Doktor Mercer wird es eine gerichtliche Untersuchung geben. Diejenigen, die als Erste am Ort des Geschehens waren, werden eine Aussage machen müssen«, begann er, noch immer meinen Ellbogen umklammernd. Ich war nicht sicher, ob diese Geste beruhigend oder drohend gemeint war. »Wie ich hörte, kamt Ihr zusammen mit dem Rektor und Master Norris schon sehr früh an das Gartentor.«
    »Das ist richtig, und ich werde gerne zu Protokoll geben, was ich gesehen habe, obwohl ich hoffe, dass die Untersuchung stattfindet, bevor ich mit meinen Reisegefährten nach London zurückkehren muss«, erwiderte ich – von gespannter Erwartung erfüllt, denn ich zweifelte nicht daran, dass noch etwas nachkommen würde.
    »Es ist nur … äh …« Er geriet ins Stocken und stieß ein kleines nervöses Lachen aus. »Der Rektor erwähnte, Ihr würdet glauben, das Gartentor zur Brasenose Lane wäre abgesperrt gewesen, als Ihr den armen Roger fandet.«
    »Ja. Ich habe daran gerüttelt, und es war fest verschlossen. Wie die beiden anderen Tore auch.«
    »Nun, als ich davon erfuhr, fiel mir ein, dass Ihr Euch natürlich auf dem Universitätsgelände nicht auskennt und daher nicht wissen könnt, dass sich das Tor zur Gasse von innen nur sehr schwer öffnen lässt.«
    Ich hob eine Braue, um meiner Skepsis Ausdruck zu verleihen.
    »Ja«, fuhr er fort, ohne mir dabei in die Augen zu sehen, »der Griff lässt sich nur mittels eines Tricks drehen, den man kennen muss. Ich erwähne das nur, weil wir … wenn Ihr
behauptet, das Tor wäre abgeschlossen gewesen – nun, Ihr versteht sicher, dass das eine einfache, wenn auch tragische Erklärung unnötig verkomplizieren würde. Der Pförtner hat vergessen, das Tor abzuschließen, ein streunender wilder Hund kam herein, und der arme Roger musste den Preis für die Nachlässigkeit eines anderen bezahlen. Das ist furchtbar, wirklich furchtbar …«, an dieser Stelle presste er eine flache Hand auf seine Brust und bemühte sich um eine bekümmerte Miene in seinem feisten Gesicht, »… aber all dieses Gerede von verschlossenen Toren würde nur Verdacht erregen, ohne dass Anlass dazu besteht.«
    Ich traute meinen Ohren nicht. Mit einem Ruck befreite ich mich aus seinem Griff, drehte mich um und sah ihm ins Gesicht. Da immer noch Studenten die Treppe hochstiegen, dämpfte ich meine Stimme.
    »Doktor Coverdale, das Tor war zugesperrt – daran besteht nicht der geringste Zweifel, ich habe selbst versucht, es zu öffnen. Und selbst wenn es nur geschlossen gewesen wäre, hätte es der Hund wohl schwerlich wieder hinter sich zugemacht, nachdem er in den Garten eingedrungen war.«
    »Der Wind hätte es zuwehen können«, winkte Coverdale ab. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus – hatte er sich wirklich vorgestellt, ich wäre so leicht zu überzeugen, würde so schnell anzweifeln, was ich mit eigenen Augen gesehen hatte?
    »Ein schweres Holztor wie dieses? Ich war dort , Doktor Coverdale – und ich bin alle Möglichkeiten mit dem Rektor durchgegangen«, protestierte ich sotto voce .
    »Der Rektor hat inzwischen Zeit gehabt, nüchtern und sachlich über die Ereignisse des Morgens nachzudenken«, erwiderte Coverdale glatt. »Er ist zu dem Schluss gekommen, dass es aufgrund des Nebels und der allgemeinen Panik schwierig war, sich in irgendeinem Punkt

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