KGI: Blutiges Spiel (German Edition)
flachen Wasser. Die Wellen umspülten schäumend seine Füße, während er in die Ferne starrte.
Dann hob er die Arme und begann mit einer Übung, die sie an Kampfkunsttraining erinnerte. Tai-Chi vielleicht? Sie beobachtete ihn, ganz gefesselt von der Sinnlichkeit seiner Bewegungen. Sie hätte erwartet, dass ein Mann seiner Größe eher schwerfällig wirkte, aber er legte eine Geschmeidigkeit an den Tag, die sie überraschte.
Geradezu poetisch. Er schien sich in vollkommener Harmonie mit den Fluten zu bewegen, als hätte er alles ausgeblendet bis auf die Schönheit des Wassers, die ihn unmittelbar umgab. In diesem Moment war sie unsagbar neidisch auf den inneren Frieden, den er wie eine Aura ausstrahlte.
Ungeniert starrte sie ihn an, bis er sich in ihre Richtung drehte. Sie hätte schwören können, dass er sie entdeckt hatte, aber das war im Grunde unmöglich. Der Schlitz in der Jalousie war nur wenige Zentimeter breit, und er war mindestens fünfzig Meter entfernt.
Dennoch trat sie rasch vom Fenster zurück. Sie musste sich eine andere Beschäftigung suchen. Die Isolation trieb sie noch in den Wahnsinn. Ihr Blick blieb an der Tasche mit dem Laptop hängen. Das untätige Warten war auf Dauer unerträglich. Vielleicht sollte sie sich einmal in der kleinen Buchhandlung am Marktplatz in der Stadt umschauen. Sie erinnerte sich auch, in der Nähe des Supermarkts eine Videothek gesehen zu haben. Ob der Fernseher oder der DVD-Player überhaupt funktionierten, hatte sie noch nicht ausprobiert, aber ein paar Spielfilme wären sicherlich eine nette Abwechslung.
Sie musste aus dieser Bude raus und unter Leute, bevor sie noch den Verstand verlor.
Sie schnappte sich die Tasche, vergewisserte sich, dass die Katze nicht in Türnähe war, und trat ins Freie. Als sie die Stufen zum Strand hinunterstieg, warf sie einen kurzen Blick nach rechts. Ihr Nachbar schwamm gerade mit kräftigen Zügen ins Meer hinaus. Sie blieb stehen und schaute ihm nach, bis er außer Sichtweite war, dann marschierte sie in entgegengesetzter Richtung auf die Stadt zu.
Ihr erster Halt war das Café, wo sie sich an ihrem üblichen Platz niederließ und von Marie auch prompt bedient wurde. Dann befolgte sie einmal mehr die Anweisungen, um sich in ihr E-Mail-Konto einzuloggen. Keine neuen Nachrichten. Das hatte sie auch nicht anders erwartet. Am liebsten hätte sie die Lokalnachrichten aus Boston durchstöbert, aber ihre Paranoia hielt sie davon ab. Sie wollte keinesfalls irgendwelche Hinweise auf ihren Aufenthaltsort hinterlassen. Wer wusste schon, was im Internet alles möglich war?
Ja, sie litt unter Verfolgungswahn, aber damit kam sie klar, auch wenn es nicht gerade hilfreich war, dass sie von der ganzen Technologie nicht die geringste Ahnung hatte. Doch unter Umständen rettet es ihr das Leben.
Ihr Instinkt befahl ihr, den Kaffee schnell auszutrinken, zur Buchhandlung zu eilen und dann rasch in ihre Unterkunft zurückzukehren. Aber sie gab diesem Drang nicht nach, sondern nahm sich Zeit, genoss den Kaffee und schaute sich das Treiben in dem kleinen Café in aller Ruhe an. Sie hasste die Vorstellung, gleich im Ferienhaus wieder allein zu sein. Sie war ein geselliger Mensch. Sie war gern unter Leuten, auch wenn sie nur selten von sich aus ein Gespräch anfing. Sie liebte die Großstadt mit den bunten Lichtern und der kulturellen Vielfalt.
Durch das Schaufenster beobachtete sie die Passanten und stellte sich vor, wie sie wohl lebten. Als die Kellnerin mit der vollen Kanne kam, um nachzuschenken, nahm sie das Angebot lächelnd an, fest entschlossen, sich Zeit zu nehmen und die Unterbrechung ihrer selbst gewählten Einsamkeit zu genießen.
Nach der zweiten Tasse spürte sie die Wirkung des Koffeins. Sie wurde unruhig. Vorsichtig verstaute sie den Laptop und verließ das Café in Richtung Buchhandlung, die nicht weit vom Supermarkt entfernt lag. Dazwischen befand sich lediglich ein Laden für Angelzubehör.
Als sie eintrat, umfing sie sofort der Geruch alter Bücher. Sie sog die Luft ein und ging zu den Regalen. Eine ältere Frau mit einem herzlichen Lächeln winkte ihr von ihrem Platz hinter der Kasse zu, und Sarah begrüßte sie mit einem kurzen Nicken ebenfalls, ehe sie sich den Bücherreihen zuwandte.
Sie vergaß die Zeit. Sie blätterte und las ein bisschen, und schon war eine Stunde vergangen. Etwa ein Dutzend Titel hatte sie sich ausgesucht. Das musste fürs Erste reichen. Wenn sie damit durch wäre, konnte sie sich ja Nachschub holen.
Sie
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