KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
schon. Unterschätz dich nicht.«
Tränen stiegen ihr in die Augen, und als eine ihre Wange hinabkullerte, wischte er sie vorsichtig weg.
»Wo ist Ethan?«
»Er kommt gleich wieder. Soll ich ihn holen?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte ihn zwar bei sich haben, aber es sollte nicht so aussehen, als hinge sie wie eine Klette an ihm. Bestimmt würde sie ein paar Minuten auch ohne ihn überstehen. Schließlich war sie nicht allein. Garrett war hier, und er war ihr Freund gewesen. So viel wusste sie immerhin.
»Du warst bei der Hochzeit mein Brautführer«, sagte sie leise.
Er lächelte. »Stimmt. Es war allerdings eine knappe Entscheidung. Daddy war ganz scharf auf diese Ehre.«
Sie neigte den Kopf zur Seite. »Und warum hat er es dann nicht gemacht?«
»Weil du mich gebeten hast.«
»Ethan sagt, ich hätte keine Familie gehabt, sondern sei schon vor unserer Trauung ein Teil von eurer gewesen.« Es klang mehr nach einer Frage, als sie beabsichtigt hatte.
»Das ist richtig. Mom war deine Lehrerin. Du warst immer eine ihrer Lieblingsschülerinnen. Nachdem deine Eltern gestorben waren, hat sie dich praktisch adoptiert.«
»Dann kannten Ethan und ich uns schon länger? Ich meine, bevor wir eine Beziehung miteinander hatten?« Sie zog die Stirn in Falten. »Beziehung« klang so … unpersönlich.
Garrett lächelte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass du ihm vom ersten Augenblick an aufgefallen bist. Aber er hat dich erst um eine Verabredung gebeten, als er bei einem Heimurlaub feststellen musste, dass unser kleiner Bruder Joe was mit dir anfangen wollte.«
Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Sie konnte sich noch so sehr anstrengen, aber vor ihrem geistigen Auge konnte sie weder ein Bild von Joe noch von Nathan heraufbeschwören. »Von Ethan weiß ich, dass Nathan und Joe Zwillinge sind, aber erinnern kann ich mich an beide nicht.«
»Vielleicht fällt es dir ja wieder ein, wenn du sie siehst, und falls nicht – es hat keine Eile«, sagte er leichthin.
»Warum kann ich mich nicht an sie erinnern? Oder an Sam oder Donovan?« Verwirrt schüttelte sie den Kopf. »Auch eure Eltern sind wie weggeblasen, dabei stand ich doch zumindest eurer Mom offenbar recht nahe.«
»Entspann dich, Süße. Jetzt hast du alle Zeit der Welt. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Ruh dich aus, alles andere erledigen wir.«
»Sind sie … ?« Sie brach ab und senkte den Kopf.
»Was sollen sie sein?«
»Ist Sam sauer, weil ich ihn vergessen habe? Oder Donovan?«
Garrett nahm ihre Hände. »Kein Mensch ist auf dich wütend. Wir alle lieben dich. Auch Sam und Donovan. Sie wollen einzig und allein, dass du nach Hause kommst, wo du in Sicherheit bist.«
»Ich will ja auch nach Hause. Aber es ist so schwer, zu glauben, dass ich ein Zuhause habe. Ich habe immer von irgendwelchen Dingen geträumt, aber geglaubt, ich würde diese Erinnerungen erfinden. Jetzt weiß ich, dass alles wirklich passiert ist.«
»Was denn zum Beispiel?«, fragte Garrett.
Sie spitzte die Lippen und konzentrierte sich auf die Bilder, die wie zufällig in ihrem Kopf auftauchten. »Da ist ein See und ein Bootssteg. Ich bin barfuß und trage Shorts. Du stehst vor mir, Ethan hinter mir. Ich laufe auf dich zu, weil ich denke, du würdest mich vor Ethan in Schutz nehmen. Aber du hebst mich hoch und wirfst mich ins Wasser.«
Seine finstere Miene wich einem freundlichen Lächeln. Fasziniert starrte sie ihn an.
»Du lachst nicht sehr oft.«
Jetzt schaute er verwirrt.
»Das weiß ich noch«, fuhr sie fort. »Und ich erinnere mich, dass ich dich zum Lachen bringen kann und dass die anderen dich damit aufziehen, weil du immer so mürrisch bist.«
Er gluckste leise. »Stimmt. Ich bin ein Griesgram, und dir ist es wirklich schon immer gelungen, mich zum Lachen zu bringen. Ja, ich habe dich ins Wasser geworfen, statt dich vor Ethan zu beschützen. Das hast du mir später aber gründlich heimgezahlt.«
»Ach?« Aufgeregt richtete sie sich im Bett auf. Informationen. Einzelheiten. Sie war so süchtig danach wie ihr Körper nach Drogen.
»Du hast Sam, Donovan, Joe und Nathan so lange beschwatzt, bis sie mich auch in den See warfen. Es waren auch alle vier nötig, um das fertigzubringen, darf ich in aller Bescheidenheit hinzufügen, aber du hast deine Rache bekommen. Immerhin habe ich zwei mitgerissen«, fügte er süffisant grinsend hinzu.
Seine Worte wärmten ihr Gemüt, und sie lächelte. Es klang tatsächlich so, als besäße sie eine Familie. Als wären sie
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