KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
lieben.«
»Kommt jetzt. Mein Pick-up wartet«, sagte Sam.
Er und Garrett holten das Gepäck und trugen es zum Wagen. Ethan drückte Rachel noch einmal, und beinahe mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, als sie zur hinteren Tür ging, unfähig, das seltsame Gefühl zu verarbeiten, dass dies hier die Normalität war. Oder sein sollte. Nach all den Monaten der Angst, der Gefangenschaft war sie frei. Zurück in der »richtigen« Welt. Sie würde ihr Leben wieder aufnehmen, als hätte es die einjährige Unterbrechung nie gegeben. Als hätten die Menschen, die sie liebten, ihr Leben nicht ohne sie weitergelebt.
Garrett stieg vorne ein, Ethan schob sich neben Rachel auf die Rückbank. Sam übernahm das Steuer und lenkte den Wagen von der kurzen Landebahn weg.
Flugplatz war fast zu viel gesagt. Die Startbahn war nur ein winziger Streifen inmitten von Äckern und Weiden. Es gab lediglich zwei Hangars, einen größeren und einen ganz kleinen, und beide waren im Grunde genommen nur bessere Wellblechhütten.
Ihr Pick-up wirbelte eine Staubwolke hinter sich auf, aber schon bald bog Sam auf einen asphaltierten Highway und drückte aufs Gaspedal. Neugierig schaute Rachel aus dem Fenster in der Hoffnung, irgendetwas wiederzuerkennen.
Nach einigen Meilen gab sie auf. Es sah aus wie überall. Sie konnte sonst wo sein.
Sie lehnte sich an Ethan, der sofort den Arm um sie legte.
»Alles klar?«, murmelte er.
Sie nickte. Hin und wieder spürte sie noch immer leichte Entzugssymptome. Die letzten Tage waren grauenhaft gewesen, eine Erfahrung, die sie nicht wiederholen wollte. Sie empfand nach wie vor eine schmerzliche Leere in sich, eine Art Hohlraum, der gefüllt werden wollte. Der Zustand insgesamt war mittlerweile jedoch erträglicher geworden. Und Aufgeben kam nicht infrage. Sie wollte nicht der einzige Schwächling unter lauter starken Kämpfernaturen sein.
Ethan hatte ihr zur Seite gestanden – er und Garrett. Abwechselnd hatten sie sie festgehalten, wenn sie schrie und weinte und um Linderung bettelte. In ihrer größten Verzweiflung hatte sie Ethan sogar angefleht, ihr Drogen zu besorgen.
Er war bei ihr geblieben, hatte sich voll bekleidet zu ihr unter die Dusche gestellt, als sie geglaubt hatte, dass Spinnen über ihren ganzen Körper krabbeln würden. Bei dem bloßen Gedanken an diese grauenhaften Kreaturen – es waren Hunderte gewesen – lief es ihr noch immer eiskalt über den Rücken.
Nach mehreren, scheinbar endlos langen Tagen hatte sie das Schlimmste überstanden gehabt. Sie war vollkommen ausgelaugt gewesen und wusste, dass es Ethan und Garrett nicht viel besser gegangen war.
»Wo fahren wir hin?«, fragte sie. Eine dumme Frage. Ethan und Garrett hatten ihr oft und ausführlich geschildert, wie ihre Heimkehr ablaufen würde. Aber die Angst, die ihren Kopf mächtig wie ein reißender Strom überflutete, konnte sie einfach nicht abschütteln.
Sie verschränkte die Hände so fest ineinander, dass ihre Fingerkuppen ganz weiß wurden. Es fiel ihr jedoch erst auf, als Ethan sie behutsam voneinander löste und ihre Finger sanft knetete.
»Wir fahren nach Hause. Zu unserem Haus, Kleines.«
Mit aller Gewalt versuchte sie, ein Bild von ihrem Haus heraufzubeschwören, wenigstens einen kurzen Blick zu erhaschen und eine innere Verbindung zu dem Ort zu knüpfen, an dem sie mit ihrem Mann zusammengelebt hatte.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte sie schließlich frustriert. Garrett drehte sich nach hinten und tätschelte ihr Knie, wie er es in letzter Zeit so oft getan hatte. Mit wenigen, aber gut gewählten Worten schaffte er es regelmäßig, sie zu beruhigen und zu trösten.
»Du darfst dich nicht unter Druck setzen, Süße. Entspann dich und lass es einfach auf dich zukommen. Gut möglich, dass dir alles wieder einfällt, wenn du erst mal im Haus bist. Und wenn nicht? Na und. Du hast alle Zeit der Welt.«
Sie ließ Ethan los, packte Garretts Hand und drückte sie kräftig. »Danke. Ich liebe dich.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, erstarrte sie. Sie spürte, wie Ethan sich versteifte. Schnell ließ sie Garretts Hand los und legte die Finger auf die Lippen, entsetzt über das, was sie soeben gesagt hatte.
Garrett starrte sie an, seine Miene drückte keinerlei Zurechtweisung oder Kritik aus. In seinem Blick lagen nur Verständnis und Zuneigung. Warum hatte sie diese Worte nicht zu Ethan gesagt? Wieso zu Garrett? Rasch sah sie zu ihrem Mann, ihr Gesichtsausdruck eine einzige
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