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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Platzierung wirkte affektiert und völlig daneben. Eine Armbanduhr, deren Deckglas als Lupe ausgearbeitet war, umspannte sein rechtes Handgelenk. Als Jung, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, zufällig darauf sah, glaubte er in das Auge eines Ungeheuers zu blicken. Er wandte sich ab und war froh, als sie die Hafenkontrollen passiert hatten und er endlich aussteigen konnte.
    Jungmanns Büro war auf einem Tender untergekommen, der im Innenhafen vertäut lag und als Versorgungsbasis der deutschen Schiffe diente. Die Sonne stach aus einem wolkenlosen Himmel. Es herrschte eine drückende Hitze. Die Kaje vor dem Tender wirkte leer und leblos. Ein beißender Geruch stieg ihnen in die Nasen. In einiger Entfernung lag ein alter Frachter. Auf dem offenen Ladedeck drängten sich Kamele. Davor hantierte ein zerlumpter Somali mit einem Wasserschlauch. Seine Versuche, Wasser zu zapfen, blieben erfolglos. Die Kamele streckten die Hälse in die Luft und blähten die Nüstern. Einige schrien erbärmlich. Die halb gesenkten, lang bewimperten Lider ihrer großen Augen gaben ihren Gesichtern einen hochmütigen Ausdruck. Er stand in groteskem Widerspruch zu dem Gestank und dem Lärm.
    »Willkommen in Dschibuti.« Schumi war hinter Jung getreten und betrachtete ebenfalls die gepeinigten Höckertiere.
    »Was passiert mit denen?«
    »Nach Reitkamelen sehen die nicht aus. Die wandern in die Metzgerei.«
    »Hast du schon mal gehört, dass es irgendwo Kamelfleisch zu essen gibt? Ich nicht.«
    »Ich auch nicht. Wir können ja nicht alles wissen, Herr Oberleutnant.«
    Sie stiegen die Stelling zum Tender hinauf. Bevor Schumann das Deck betrat, blieb er stehen und grüßte die Dienstflagge, die über dem Heck träge an ihrem Stock hing.
    »Was tust du, Schumi? Sind wir hier bei Wilhelm Tell?«
    »Das ist Vorschrift, Tomi. Wenn die Wache an Oberdeck gewesen wäre, hätte sie auch noch Seite gepfiffen. Darauf musst du richtig reagieren, sonst bist du weg vom Fenster. Ich erklär’s dir später. Lass uns jetzt zum Kommandeur gehen. Er wartet sicherlich schon auf uns.«
    Jung kam sich blöd vor. Ihn beschlich nicht zum ersten Mal der Wunsch, sein Abenteuer so schnell wie möglich zu beenden. Die Schleuse ins Schiffsinnere beherbergte den Wachstand. Der Wachoffizier wurde gerufen. Er führte sie im Brückenhaus drei Decks hoch in die Kommandeurskammer.
    »Herzlich willkommen an Bord, Herr Jung. Oberstaber, Sie sind mir ebenfalls herzlich willkommen.« Jungmann gab ihnen die Hand und bat sie, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Er trug Kaki, welches etwas knittrig und von der Hitze mitgenommen wirkte. Jung hätte ihn fast nicht wiedererkannt. In seinem Gedächtnis war er haften geblieben als die tadellose, blaue Uniform mit den goldenen Knöpfen. Ansonsten konnte er sich an nichts Markantes erinnern. Jungmann war nicht hässlich, entstellt oder verbaut, hatte weder abstehende Ohren noch eine Knollennase. Aber er sah auch nicht richtig gut aus, was auch immer man darunter verstehen mochte. Jedenfalls war er kein Womanizer oder Schwiegersohnkandidat für ambitionierte Mütter mit heiratswilligen Töchtern. Er war ein Mensch in Uniform, das war’s. Jung gefiel der Gedanke, dass die Arbeit mit ihm genauso sein könnte, wie er nach außen wirkte: unaufgeregt, einfach, komplikationslos und ohne Macken.
    Dagegen war Jungmanns Kammer extravagant: eine Suite mit abgeteiltem Schlafraum, separater Dusche und Toilette. Außerdem schien aus mehreren Bullaugen das Tageslicht in die Kammer. Im Vergleich dazu war die Luxussuite des IO auf der Fregatte eine Abstellkammer.
    »Schön, dass Sie da sind. Wie geht’s auf dem Schiff? Sind Sie gut untergebracht?«
    »Ich wohne beim MET auf der Kammer. Ich sehe ihn kaum. Kommt mir entgegen. Es ist eng.«
    »Beim MET? Das ist ein Arbeitstier. Vielleicht zieht einer der Großen Wolke mal den Ladestock aus dem Hintern. Etwas lockerer würde ihm gut stehen.« Er lachte, Jung und Schumann nicht. Jung hatte eine tiefgehende Abneigung, sich über Eigenheiten von Dritten in ihrer Abwesenheit lustig zu machen.
    »Herr Kap’tän, darf ich kurz unterbrechen? Das Gepäck. Wo kommen wir an Bord unter?«, warf Schumann ein.
    »Der Schirrmeister macht das schon, Oberstaber, keine Angst. Herr Jung geht auf die S3-Kammer. Im PUO-Deck ist eine Einzelkammer für Sie frei. Sie können also ungestört arbeiten und sich erholen.«
    Jung war froh, dass Schumann die Konversation auf eine pragmatische Ebene gebracht hatte. Er wollte keine

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