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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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passierten ein Schild, das die Ausfahrt nach Byblos ankündigte. Der Fahrtwind, der durch die zerbrochene Scheibe strömte, erzeugte ein beständiges Rauschen. Vor seinem geistigen Auge spielte er den Kampf durch, der sich in Carmens Apartment abgespielt hatte. Wie passte sie ins Bild? Was war ihre Rolle? Die Fragen brannten ihm auf der Zunge, er wollte sie hinausschreien. Doch er beherrschte sich. Für den Moment hatten sie eine empfindliche Balance gefunden, einen Status quo, den er nicht zu erschüttern wagte. Nicht, solange Carmen hinter dem Steuer saß. Ein Gleichgewicht, das an einer Pistole hing, konnte nicht stabil sein. Er musste aufpassen. Das war es, worauf es ankam. Konzentration und Selbstkontrolle.
    Schließlich war es Carmen, die das Schweigen brach. „Wo fahren wir hin?“
    „An einen sicheren Ort.“ Nach Hause konnte er nicht. Sein Anwesen in Hawqa wurde sicher überwacht. Ein Hotel kam ebenfalls nicht in Frage. Nicht mit einer Geisel und in seinem Zustand. Während sie Beirut verließen, hatte er darüber nachgedacht, war alle möglichen Optionen durchgegangen und schließlich auf St. Erasmus verfallen, eine ehemalige Einsiedelei in einem Nebental des Wadi Qadisha.
    „Ein sicherer Ort?“ Sie verzog einen Mundwinkel. „Sicher für wen? Für dich oder für mich?“
    „Kommt darauf an, auf welcher Seite du stehst.“ Unbeholfen schüttelte er eine neue Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Die Schachtel war beinahe leer.
    „Was steht denn zur Auswahl?“
    Er drehte den Kopf, so dass er ihr Gesicht besser sehen konnte. „Wer waren die Typen vorhin?“
    „Keine Ahnung“, schnappte sie. „Bevor du aufgetaucht bist, hatte ich ein ruhiges Leben.“
    Fast gelang es ihr, ihn zu verunsichern. Doch dann vergegenwärtigte er sich den schlanken Araber, der erst später aufgetaucht war. Der sie beim Namen gerufen hatte. Oh Gott. Es traf ihn wie ein Schwall Eiswasser, als er den Gedanken weiterdachte, den weiteren Verlauf rekapitulierte. Das Handgemenge mit dem rotblonden Killer, der darauf folgende Schusswechsel. Und Carmen, die Stimme ganz heiser vor Angst.
    Die Realität drehte sich unter ihm weg. Abrupt wandte er den Blick ab und starrte hinaus auf die Straße. Dabei war es so einfach. Ihre Antwort, als er sie nach Rafiq gefragt hatte. Zu schnell, zu glatt, zu losgelöst von jeder Emotion.
    „Du hast gelogen“, murmelte er. „Er ist nicht tot.“
    Sie schwieg. Ihr Blick schien auf der Fahrbahn festgefroren.
    „Er hat überlebt, nicht wahr?“
    Sie antwortete nicht. Langsam schüttelte er den Kopf. Tausend Scherben aus farbigem Glas. Wie das Rätsel aus dem alten orientalischen Kindermärchen. Und keine der Scherben schien an eine andere zu passen.
     
    Bei Ijbeh, einem kleinen Ort kurz vor Ehden, verließen sie die Teerstraße und bogen ab auf eine Schotterpiste. Die Scheinwerfer des Wagens glitten über hochstämmige Bäume und dichtes Unterholz. Der Weg schraubte sich in steilen Kurven talwärts. Wasserrinnen hatten sich quer in den Boden gefressen. Nikolaj spürte jeden Stoß in der verletzten Schulter. Irgendwo klapperte Plastik.
    Carmen bremste vor einer scharfen Biegung, schlug das Lenkrad ein und trat erneut das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf, die durchdrehenden Räder schleuderten Sand und Steine hoch. Endlich griffen sie, der Wagen beschleunigte.
    „Langsamer!“, fuhr er sie an.
    Sie biss sich auf die Lippen, ihre Wangenmuskeln spannten sich. Er hob die Waffe und stieß den Lauf gegen ihren Hals.
    Scharf trat sie auf die Bremse und brachte den Wagen rutschend und ausbrechend zum Stehen. Der Gurt verhinderte, dass sie nach vorn gegen die Scheibe geschleudert wurden. Unvernünftige Wut schoss in ihm hoch, eine Eruption aus Schmerzen, Zorn und Hilflosigkeit. Seine Hand packte ihre Kehle, seine Finger taub und ohne Gefühl. Er stieß sie rückwärts gegen die Sitzlehne, so dass sie nach Luft rang, die Augen weit aufgerissen in plötzlichem Entsetzen. Erst ihr ersticktes Keuchen, ihre flackernden Lider brachten ihn wieder zur Besinnung. Er erschrak über das, was er im Begriff zu tun gewesen war. Augenblicklich lockerte er seinen Griff. Sie starrte ihn an wie einen Geist. Das Weiße in ihren Augen glitzerte unnatürlich.
    „Bitte“, stieß er hervor, „bring mich nicht dazu, dir wehzutun.“
    „Das würdest du wirklich, oder?“ Ihre Maske war wie weggewischt. Darunter lag Angst. Fassungslosigkeit. „Mich umbringen und irgendwo im Wald liegen lassen.“ Ihre Lippen

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