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Kill Whitey

Kill Whitey

Titel: Kill Whitey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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war, dass er niemals lächelte, selten mit den Gästen sprach und einige der Mädchen anscheinend Angst vor ihm hatten. Nicht auf eine panische Weise, dass sie kreischend die Flucht ergriffen hätten, aber sie wirkten in seiner Gegenwart beklommen und eingeschüchtert. Vorsichtig.
    Ich erlebte nie, dass Whitey sie anbrüllte. Tatsächlich nahm er sie überhaupt kaum zur Kenntnis. Trotzdem gingen die Mädchen rings um ihn wie auf Eierschalen, besonders jene aus dem Ausland, die den Großteil der Tänzerinnen ausmachten. Die Zuhälterhand des Kerls schien stark zu sein.
    Auch Sondra gab mir Rätsel auf, wenngleich auf andere Weise als ihr Boss. Ihre Vorstellungen waren begrenzt, und ich fragte mich, weshalb sie nicht öfter auftrat. Sie strippte nur zweimal pro Nacht, jeweils eine Viertelstunde, und wenn sie auf der Bühne stand, gehörte ihr der Laden. Sie spielte mit dem Publikum, ohne sich je wirklich mit den Männern einzulassen. Im Gegensatz zu den meisten Mädchen bot sie keine Lapdances an und betreute die Gäste nicht, wenn sie nicht tanzte. Tatsächlich bekam man sie zwischen ihren Auftritten nie zu Gesicht. Sie verschwand hinter der Bühne und tauchte erst zu ihrem zweiten Tanz wieder auf. Ich fragte mich, was sie dort hinten trieb. Es gab keine Möglichkeit, hinter die Bühne zu gelangen, um sie kennenzulernen. Der Bereich wurde ständig von zwei Rausschmeißern bewacht.
    Vielleicht brauchte sie die Gäste zwischen ihren Auftritten nicht zu betreuen. Jedenfalls hinterließ sie einen Mordseindruck, wenn sie tanzte. Jede Nacht stürmten die Kerle – und manchmal auch Frauen – zur Bühne und scharten sich dort, sobald sie auftrat. Sie streckten sich nach ihr, und sie blieb stets ein Stück außer Reichweite – ein endloses Ritual. Der Versuch, Sondra zu berühren, glich dem, eine Wolke zu fassen zu bekommen. Ihre Bewunderer griffen unablässig nach ihr, zumeist mit Einern, Zehnern, Zwanzigern oder noch mehr in den Händen. Sie steckten ihr die Scheine in den Tanga. Sondra ergriff sie mit dem Mund oder drückte die Brüste zusammen und sammelte die Banknoten so ein. Mindestens einmal während jedes Auftritts bekam ein Glückspilz eine Sonderbehandlung – derjenige rollte einen Schein zu einem Röhrchen, das er hochhielt, und Sondra kauerte sich darüber, um es auf diese Weise entgegenzunehmen ... ohne die Hände zu benutzen. Die Zuschauer gerieten stets außer Rand und Band, wenn sie es tat, obwohl sie den Trick schon kannten. Ich konnte ihnen keinen Vorwurf daraus machen, zumal ich es durchaus nachvollziehen konnte. Auch ich verlor jedes Mal fast die Kontrolle und stellte mir vor, wie es sein musste, jener Geldschein zu sein. Ich malte mir viele Dinge aus.
    War ich besessen? Ich weiß es nicht. Vielleicht. Scheiße, ja, ich war besessen. Aber wenn Sie Sondra gesehen hätten, könnten Sie mir keinen Strick daraus drehen. Sie würden begreifen, weshalb.
    Nacht für Nacht saß ich dort und beobachtete sie. Manchmal sah sie mich an, andere Male nicht. Wenn sich unsere Blicke begegneten, ganz gleich, wie flüchtig, überlegte ich stets, ob Sondra mich erkannt hatte oder nicht. War ihr mein Gesicht vertraut? Dachte sie: ›Oh, da ist ja der nette Kerl, der mir jede Nacht zusieht‹? Wenn sie wegschaute, lächelte sie immer, aber sie lächelte jeden an. Schenkte sie mir ein anderes Lächeln? Ein besonderes? In dem sich eine verborgene Bedeutung oder Botschaft verbarg? Nein, natürlich nicht, trotzdem gefiel es mir bisweilen, mich der Vorstellung hinzugeben. Was hatte ich sonst schon im Leben?
    Scheiße.
    Wenn ich das Odessa verließ, dachte ich an Sondra. Bei der Arbeit ebenfalls. Auch zu Hause. Oder wenn ich mit den Jungs unterwegs war. Sogar im Haus meiner Eltern an Sonntagnachmittagen. Mom fragte mich, ob ich mich mit jemandem träfe. Ich bejahte und ging nicht näher darauf ein. Ich dachte an Sondra, wenn ich unter der Dusche stand, wenn ich die Wäsche erledigte, wenn ich aß und wenn ich mich zum Schlafen hinlegte.
    Aber meine Fantasien wurden nie Wirklichkeit.
    Ich war betört, blieb aber allein – mal abgesehen von meinem Kater. Sondra zu begehren, verschlimmerte meine Einsamkeit irgendwie. Aber es machte mir nichts aus, denn immerhin hatte ich endlich ein wenig Aufregung im Leben.
    Bis zu der Nacht, in der sie mich zuerst anredete, sprach ich nie mit Sondra – und danach bekam ich mehr Aufregung, als ich mir je gewünscht hatte.
    Man sollte tatsächlich vorsichtig damit sein, was man sich wünscht,

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