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Kill Whitey

Kill Whitey

Titel: Kill Whitey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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ungehindert atmen. Zwar war die Luft abgestanden und feucht, außerdem roch es leicht nach verfaulten Eiern, eine Erinnerung aus der Zeit, als das System noch in Betrieb gewesen war, aber es war um einiges besser als über uns. Der Wellblechtunnel erwies sich als breit und rund. Ich konnte die Wände spüren, aber nicht sehen.
    Kurz ließ ich Sondras Hand los und streckte die Arme aus. Meine Fingerspitzen berührten die Seiten kaum. Allerdings war der Tunnel nicht besonders hoch, weshalb wir gebückt laufen mussten. Mein Kopf streifte immer wieder gegen die Decke, was meinem von Blasen überzogenen Schädel frische Schmerzen bescherte. Das Wasser floss nur knöcheltief, war jedoch kalt, und meine Füße und Zehen wurden rasch taub. Wenigstens lief ich nicht barfuß. Ohne die Schuhe, die Yul mir gegeben hatte, wäre es wesentlich schlimmer gewesen. Ich fragte mich, wie sehr das eisige Wasser Sondra beeinträchtigte.
    Ich ergriff wieder ihre Hand. »Geht es dir gut?«
    »Ist sehr kalt«, antwortete sie. »Und Boden ist schleimig. Aber es geht mir gut.«
    Unwillkürlich musste ich an die Verletzung an ihrem Fuß denken. Was, wenn sie sich infizierte? Wer konnte schon sagen, was für Bakterien es hier unten gab? Ich beschloss, nichts davon zu erwähnen. Wir hatten auch so genug Sorgen am Hals.
    »Lass uns versuchen, leise zu sein«, flüsterte ich. »Kein Reden mehr, bis wir weiter weg sind.«
    Das Licht verschwand wieder, sodass wir in völliger Finsternis zurückblieben. Wir wateten weiter und versuchten, so leise wie möglich zu sein, indem wir langsame, gemessene Schritte verwendeten, damit das Wasser um unsere Füße nicht platschte. Ich umklammerte Sondras Hand und achtete darauf, dass sie dicht bei mir blieb. Es hörte sich an, als hinke sie ein wenig und schleife einen Fuß durch das Wasser hinterher. Ich fragte mich, ob sie Erinnerungen an das Schiff durchlitt – daran, in der pechschwarzen Dunkelheit eines Frachtcontainers eingesperrt zu sein.
    Dann ging mir durch den Kopf, ob womöglich auch das eine Lüge gewesen war, und ich hasste mich für den Gedanken.
    Der Tunnel verlief in einer gerade, scheinbar endlosen horizontalen Linie immer tiefer in den verlassenen Industriepark. Die Dunkelheit war bedrückend. Die einzigen Geräusche stammten vom fließenden Wasser, meinen watenden Schuhen und Sondras klappernden Zähnen. Abgesehen davon herrschte Stille. Sogar Whitey schien verschwunden zu sein, als hätte die Finsternis auch ihn verschluckt. Am liebsten hätte ich geschrien, um zu beweisen, dass wir noch existierten, dass wir trotz aller Bemühungen des Mafioso noch lebten. Ich sehnte mich nach Licht – einem Streichholz, einem Feuerzeug oder auch nur dem trüben Schimmer eines Mobiltelefons. Irgendetwas. Nur ein Funke. Alles wäre besser gewesen als diese undurchdringliche Schwärze. Kurze Zeit später schlug ich mir die Stirn an einem herabhängenden Rohr an. Fluchend fragte ich mich, wie weit wir kommen würden, ohne etwas zu sehen. Was, wenn irgendwo ein steiler Abgrund käme oder wenn wir stolperten und uns die Beine brächen? Was, wenn wir zu einer Kreuzung oder in eine Sackgasse gelangten? Was dann?
    Ich hatte noch nie Platzangst gehabt, im Augenblick jedoch beschlich sie mich. Ich spürte das Gewicht des Industrieparks, das auf uns lastete. Plötzlich fiel es mir schwer zu atmen. Meine Brust zog sich zusammen, meine Kehle erschien mir wie zugeschnürt. Die Dunkelheit umklammerte mich. Etwas kitzelte unter der Wasseroberfläche mein Fußgelenk, und ich drückte Sondras Hand so heftig, dass sie aufschrie.
    »Was ist?«
    Ich erwiderte nichts. Was war hier unten bei uns? Was versteckte sich in der Finsternis und beobachtete uns? Bestimmt Ratten. Ohne Ratten wäre es keine richtige Abwasserleitung. Schaben und Käfer. Natürlich auch Würmer und vielleicht sogar Egel. Opossums, Waschbären, sonstiges Viehzeug – tollwütig oder nur stinksauer darüber, dass Menschen in ihr Herrschaftsgebiet eindrangen. Wahrscheinlich auch Schlangen. In Pennsylvania gab es Wasserschlangen, schwarze Schlangen, Mokassinschlangen, Klapperschlangen und harmlose kleine Strumpfbandnattern. Ich schauderte, als ich an Whiteys Geschichte darüber denken musste, wie einer Schlange der Kopf abgeschlagen worden war und er beobachtet hatte, wie sie sich weiterhin wand. Was, wenn eine zwischen meinen Beinen schwamm? In der Dunkelheit würde ich sie nicht sehen können. Früher hatte ich nie Angst vor Schlangen gehabt, aber in völliger

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