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Kill your friends

Kill your friends

Titel: Kill your friends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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bekommen.
    Alle paar Stunden rufe ich bei einem Lieferservice an, und irgendein Bote – ein Schlitzauge oder ein Spaghettifresser – bringt mir chinesisches Essen, Thai oder Pizza an die Tür.
    Zwischen den Mahlzeiten schlucke ich Valium.
    Ich weine sehr viel.
    Nachdem ich ein paar Tage in diesem Zustand verbracht habe – die zwei Stangen Zigaretten, die ich aus Amerika mitgebracht habe, sind leer, und ich muss dringend meinen abgenutzten Vorrat an Hardcore-Pornoheften auffrischen – versuche ich zum Laden an der Ecke zu gehen. Aber ich stelle fest, dass ich das Haus nicht verlassen kann.
    Also bleibe ich im Bett. Mein Haar ist fettig und meine Fingernägel mit Dreck verkrustet. Auf dem Boden liegen zusammengeknüllte ranzige Papiertaschentücher voller Sperma. Auf Bergen schmutziger Wäsche thronen überquellende Aschenbecher. Über das gesamte Schlafzimmer sind schmierige Pizzakartons und schimmelnde Aluschalen mit Essensresten verteilt.
    Mein Leben ist reduziert auf die Fundamente der menschlichen Existenz: essen, rauchen und wichsen.
    Irgendwann am Ende der Woche, während ich mich gerade nackt in einer Ecke des Wohnzimmers zusammenkrümme, habe ich eine, nun, ›göttliche Erscheinung‹ ist möglicherweise ein zu starkes Wort, aber ich beginne, über all das Falsche, das Böse, das ich getan habe, nachzudenken. Das Bild von Waters’ Mutter auf seiner Beerdigung verfolgt mich: wie sie den Gang herunterschwankt und diese, einen in den Wahnsinn treibenden, unmenschlichen Woooohoooo- Laute ausstößt. Vielleicht kann man es irgendwie ungeschehen machen. Durch eine Art Sühne vielleicht? Ich rufe den Stand meines Karma-Kontos ab, und es sieht übel aus. Verdammt übel. Es sieht aus wie meine normalen Kontoauszüge: tanzende, unwirkliche Nullen, überall ein dickes Minus. Im Soll, im Soll, im Soll. Vielleicht … wenn ich damit aufhöre.
    Mich ändere. Gutes tue. Etwas Wohltätiges. Wenn ich mich Brot für die Welt anschließe und im Ausland arbeite, hungernde Blähbauch-Babys pflege und afrikanischen Dorfbewohnern helfe, einen, was weiß ich, einen Damm oder so wieder aufzubauen. Ich könnte ehrenamtlich knöchrige Rentner mit lauwarmer Suppe füttern. Oder in kalten Januarnächten in den Unterführungen und Fußgängertunneln der Londoner Innenstadt Sandwiches und Decken an frierende Obdachlose verteilen. Mein einziger Lohn wäre, mich für einen Moment in der Wärme ihres dankbaren Lächelns zu sonnen. Ich könnte aufs Land ziehen und Kinder großziehen, mich bemühen, glücklich auf der anderen Seite des Prodigy-Innencovers zu leben, der Seite mit den grünen Wiesen und den lächelnden Menschen.
    Das Telefon klingelt. Beziehungsweise, ich bemerke jetzt sein Klingeln. Es könnte schon seit zwei Tagen klingeln. Ich krieche über den Boden und beäuge es voller Furcht: Sechs-, siebenmal ertönt das Klingeln, dann springt der Anrufbeantworter an.
    »Hi … Steven? Äh … hier Barry von der Clubpromotion. Hör zu, ich muss dich sprechen. Ich weiß nicht, ob du schon …«
    Ich schütte mir einen Liter Evian über den Kopf, atme ein paarmal tief durch, nehme den Hörer ab und krächze: »Barry?«
    »Oh, du bist da. Heilige Scheiße, du klingst aber gar nicht gut, Alter.«
    »Ja. Grippe oder so was.«
    »Ich hab versucht, dich zu erreichen, aber dein Handy ist abgeschaltet. Egal, hast du Samstagabend schon was vor?«
    »Was? Wieso?«
    »Du wirst es nicht glauben …«
    Und Barry überbringt mir die ersten guten Nachrichten seit sehr, sehr langer Zeit.
    ***
     
    »Ach du heilige Scheiße«, sagt Trellick vom Rücksitz aus, »bitte seht euch das mal an.« Wir biegen um eine Ecke auf die – ich vermute – Hauptstraße ein. Es ist elf Uhr dreißig, Samstagnacht, und die hiesigen Kleinstadtdeppen – Hunderte von ihnen – machen, was man hier im Norden so macht: Ein übergewichtiges Mädchen im G-String-Tanga sowie schulter- und bauchfreien Top kotzt neben ein »Links einordnen«-Schild. Eine Gruppe Jungs pisst ungeniert vor ein Ladenlokal. Ein weiteres Mädchen liegt mit hochgerutschtem Rock und zerrissener Strumpfhose besinnungslos auf dem Rücken im Rinnstein und umklammert dabei immer noch eine Flasche beschissenen Alcopop. »Sind das … Pommes’?«, fragt Ross. Alle vier verdrehen wir die Augen. So weit man sehen kann, etwa vierhundert Meter voraus, ist die Luft voll mit fliegenden Pommes frites. Tütenweise werden sie nach oben geschleudert, während gleichzeitig Dutzende von Prügeleien ausbrechen. Ein

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