Kill your friends
Rebecca eine E-Mail mit der Bitte, hereinzukommen und mich in ein dringendes Meeting zu rufen.
Sie steckt den Kopf durch die Tür. »Entschuldigt die Unterbrechung«, sagt sie, lehnt sich vor und präsentiert Woodham ihr Dekolleté, »aber du solltest langsam ins Meeting gehen, Steven.«
»Danke, Rebecca.« Sie zieht sich zurück.
»Haben Sie vielen Dank, Mr. Stelfox«, sagt Woodham und erhebt sich.
»Steven reicht völlig. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr helfen konnte«, sage ich und trete hinter ihm durch die Tür.
»Nein, Sie waren ausgesprochen hilfreich. Eine letzte Sache noch. Die ist allerdings ein wenig unangenehm.« Er greift in sein Jacket.
Mist. Jetzt kommt er. Der beschissene Columbo-Trick. Schon fast aus der bekackten Tür raus, dreht er sich um und präsentiert mir den rauchenden Revolver. »Wären Sie so freundlich, mir zu sagen, was Sie hiervon halten?«, sagt er und hält mir etwas entgegen.
Oh Gott. Ich sehe hin.
Es ist eine CD. »Es sind nur ein paar Rough-Mixe, die wir im Heimstudio eines Kumpels aufgenommen haben, aber ich würde zu gerne mal eine professionelle Meinung zu den Songs hören. Wenn Sie vielleicht zehn Minuten entbehren könnten, bei Gelegenheit mal reinzuhören …«
Ich sehe ihn einen Moment an.
»Sicher doch«, sage ich und nehme die CD. »Steht Ihre Nummer drauf?«
Sekunden, nachdem er gegangen ist, kommt Rebecca herein und sieht mich am Fenster stehen. »Ist alles in Ordnung?«, fragt sie mich und klingt aufrichtig besorgt.
»Es ist nichts. Nur ein paar Fragen zu Roger.« Sie kommt zu mir ans Fenster, und wir beobachten Woodham, wie er zu seinem Wagen läuft. Ein mickriger Ford, der eigentlich alles über ihn sagt.
»Ganz niedlich für einen Polizisten«, sagt sie.
»Mmmm.« Wir stehen eine Zeit lang still am Fenster.
»Geht’s dir gut, Steven?«
»Mir geht’s prima.«
Sie hebt die Hand, als wolle sie meinen Arm streicheln, überlegt es sich dann aber anders.
Ich frage mich oft, was für ein Leben Menschen wie Woodham eigentlich führen. Ich meine nicht Polizisten, sondern Typen, die jahrelang in irgendwelchen witzlosen Bands herumkrebsen, ohne jemals etwas zu erreichen. Und eines Tages haben sie irgendeine alte Vettel am Arsch. Bist du auch einer von denen? Wie hältst du das aus? Du drehst dich einmal um dich selbst, und – peng! – ehe du dich versiehst, gehst du auf die Dreißig zu und stehst sonntagmorgens um neun in einem beschissenen Schnellrestaurant in der Schlange, während deine Fünfjährigen in der Gegend herumtoben und den Laden zu Klump schlagen. Derweil hält ein fettes Monster deine Hand, und ein weiteres Gör kreischt aus der Babytrage auf deiner Brust. Bis zum Ende des Monats hast du vielleicht noch 250 Pfund auf dem Konto. Mal ehrlich, was hält die Schlinge von deinem Hals und die Rasierklinge von deinen Venen zurück? Liebe? Mach dich nicht lächerlich. Sieh dir dein Leben doch mal an.
***
Ohne Vorwarnung wird mitten im Mai der Winter zum Sommer. Es gibt keinen Frühling. Die Hitze tut, was sie immer mit London tut: Autos verwandeln sich in kochende Folterkisten, und – wer hätte das gedacht? – der Verkehr fließt noch langsamer als sonst. Auf einmal wird überall gebaut. Die Bauarbeiter haben den Oberkörper frei oder tragen fluoreszierende gelbe und orangefarbene Westen und kratzen sich die Köpfe, während sie auf irgendein beknacktes, verbogenes Stück Rohr starren, das sie gerade aus einem Riss im blubbernden Asphalt gezogen haben. Sie stehen Kaugummi kauend auf dem Seitenstreifen, auf dem Bürgersteig oder mitten auf der Straße und heben demonstrativ ihre kreisrunden roten »Stop«-Schilder, oder, viel seltener und kürzer, die leuchtend grünen »Go«-Schilder. Sämtliche Zufahrtsstraßen führen in die Verzweiflung. In ihren Folterkisten schlürfen die Leute Evian, zünden sich Zigaretten an, trommeln mit den Fingern auf dem Lenkrad, spielen am Radio herum, und jedes Mal hört man die geloopten Streicher-Samples und Richard Ashcroft »Bittersweet Symphony« singen. Wechselt man auf einen anderen Sender, ertönt »Things Can Only Get Better«.
Der Sommer macht noch etwas anderes mit London. Du weißt, was ich meine. Schau, wie sie urplötzlich quasselnd aus den U-Bahnen und Bussen, den Hauseingängen und Bürohäusern strömen. Wie sie sich in den Bistros und an den Holztischen vor den Pubs recken und strecken: Tussen, Schnitten, Schnecken.
Mädels, wohin verkriecht ihr euch im Winter? Weiht uns ein. Der
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