Kill your friends
Band nahezu ausschließlich Salat.
»Wie ist der Vibe denn so in Glastonbury?«, fragt einer von ihnen. Vibe? Es ist eine verdammte Zumutung, dass man mich hier hingesetzt hat und ich diese Scheiße durchleben muss. Zum zigsten Mal heute lamentiere ich gedanklich, dass ich erfolgreicher werden muss, um diesen Mist nicht mehr ertragen zu müssen.
»Oh, Glastonbury? Die Atmosphäre ist einfach … unglaublich.« (Angenommen, die Atmosphäre im mittelalterlichen England – Seuchen, Unrat, biblische Plagen und Millionen schlammbespritzter Idioten überall – würde sich als unglaublich qualifizieren, dann ist Glastonbury zweifellos unglaublich.) Mit einem aufsteigenden Gefühl der Übelkeit wird mir klar, dass ich – sollte auch nur die leiseste Chance bestehen, dass diese Clowns bei uns unterschreiben – wahrscheinlich nach Glastonbury fahren muss.
Das Essen kommt. Darren ist in ein Indie-Gespräch mit Adam vertieft. Ich beobachte, wie Marcy in ihrem Salat herumstochert. »Du hast nach all diesen Plattenfirmen-Essen wahrscheinlich gar keinen Hunger mehr, oder?«
Sie lächelt mich zum ersten Mal an – nervös, zögerlich, aber immerhin ein Lächeln – und zeigt dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne, weißer noch als ihre Haut. Ein violetter Salatfetzen klemmt zwischen ihren Schneidezähnen. Sie hat schöne Lippen. Aufgrund ihres bauschigen Pullis kann ich ihre Titten nicht beurteilen, aber wenn mich meine Erinnerung an den Gig in Austin nicht täuscht, hat sie für eine Schlampe ihres Alters ganz gut Holz vor der Hütte. Ich kann mich zwar an keinen ihrer Songs mehr erinnern, aber daran erinnere ich mich.
»Nein«, sagt sie und entfernt das Salatblättchen, »ich finde das wirklich nett, weißt du? Die Leute interessieren sich für uns.«
»Nimm etwas von dem Kaviar.« Ich schiebe die Schüssel mit dem Beluga zu ihr rüber.
»Danke. Ich esse keinen Fisch.«
»Also los … erzähl uns von deinem Label«, sagt Jimmy.
»Okay …« Ich räuspere mich.
Was gibt es da schon ernsthaft zu erzählen? Wir stellen eure Platten her und bringen sie in die beschissenen Läden. Wir geben unser Bestes, keinen Penny zu riskieren, bevor wir uns nicht sicher sind, ihn mit Zinsen zurückzubekommen. Wir zweifeln alles an, was ihr tut, und mischen uns, wann immer wir können, in den künstlerischen Prozess ein. Wir editieren und remixen eure Songs ohne eure Einwilligung. Wir zwingen euch, in miesen, entwürdigenden Kindersendungen aufzutreten, wo ihr Max, dem Dachs, die Pfote schütteln müsst und einem Teenie-Moderator mit dem Begriffsvermögen eines mit Ritalin abgefüllten Kleinkindes eure Weltsicht erklären sollt. Wir halten euch auf Trab, bis ihr nicht mehr aufstehen könnt. Gemeinsam mit euren Verlegern werden wir uns nach Kräften bemühen, eure Musik für Werbekampagnen jedes erdenklichen Unternehmens – von Banken bis zu multinationalen Petrochemie-Konzernen – zu lizenzieren. (Wir würden sie auch an Walfangflotten und Waffenhändler verkaufen, wenn die im Fernsehen werben würden.) Wir werden sämtliche Kosten, die ihr verursacht, auf euch abwälzen und euch für jeden unserer Verluste verantwortlich machen, von den Heftklammern, die euren verbrecherischen Vertrag zusammenhalten, bis zur Cola, die ihr aus dem Bürokühlschrank genommen habt. Und wenn das alles nichts bringt, werdet ihr schneller fallengelassen als das Höschen einer Hafenhure beim Einlaufen eines Ozeanriesen.
Wie klingt das, ihr käsigen, vegetarischen Hippie-Ärsche? Keine Sorge, euch wird das Lachen schon noch vergehen.
Aber leider darf man das dieser Tage so nicht mehr formulieren. Also schwadroniere ich über »künstlerische Freiheit«, »kreative Kontrolle«, »langfristige Unterstützung von Aufbaukünstlern« und all diesen Quatsch. Gelegentlich nippe ich an meinem Wasser, und alle nicken zustimmend, während ich vor lauter Langeweile den Tränen nahe bin. Als ich schließlich im wahrsten Sinne des Wortes am Ende bin, stehe ich auf, sage »Entschuldigt mich«, verpisse mich aufs Klo und überlasse Darren seinen Teil der Konversation: B-Seiten und die Gitarrensoli von Tom Verlaine.
Auf dem Weg zur Toilette halte ich kurz an der Bar und kippe drei doppelte Bisongras-Wodkas. In der Kabine rolle ich flink einen Fünfziger, beuge mich über den Deckel des Spülkastens und jage mir eine Ration bolivianisches Rohrfrei durch die Nase. »Dann mal los, ihr Penner, jetzt wird die Scheiße gerockt …«, sage ich und schreite – kurz
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