Killeralgen
die Wachsgesichter von Figuren, die so lebensecht wirkten, dass niemand sich gewundert hätte, wenn sie sich plötzlich bewegt hätten. In einer Kammer stopfte ein riesiger Affe soeben eine Frau in einen Kamin. In einer anderen wühlte ein Mann sich aus eigener Kraft aus einem Grab heraus. In jedem Raum war eine Szene aus einer Edgar-Allan-Poe-Geschichte aufgebaut.
Emil trat zu Austin, der am Ende der Prozession ging. Das Licht der Fackel verlieh seinem sarkastisch grinsenden Gesicht eine satanische Ausstrahlung, die perfekt zu der Umgebung passte.
»Nun, Monsieur Austin, was halten Sie bis jetzt von meiner kleinen Show?«
»So viel Spaß hatte ich nicht mehr, seit ich das Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud besucht habe.«
»Sie schmeicheln mir! Bravo! Aber das Beste kommt noch!«
Emil setzte den Weg fort, bis er zu einer Kammer kam, deren rotes Licht mit seiner ganz besonderen Strahlkraft alle innerhalb des Raumes aussehen ließ wie Opfer des Roten Todes. Im Fußboden des Raums klaffte ein kreisrunder Schacht. Ein rasiermesserscharfes Pendel schwang über einem Holzgestell hin und her. Der große schwarze Vogel war auf das Gestell gefesselt, und über seine Brust liefen Ratten. Es war eine Szene aus
Die Grube und das Pendel
, wo das Opfer von der Spanischen Inquisition gequält wird. Nur war in diesem Moment Cavendish das Opfer, der gefesselt und geknebelt auf dem Tisch lag.
»Ihnen werden in dieser Szene sicherlich einige Abweichungen auffallen«, sagte Emil. »Die Ratten, die Sie im Verlies herumlaufen sehen, sind echt. Desgleichen das Opfer.
Mr. Cavendish ist kein Spielverderber, wie die Engländer sagen würden, und hat sich netterweise bereit gefunden, uns zuliebe an dieser kleinen Vorstellung aktiv teilzunehmen.«
Während Emil die Gäste zu höflichem Applaus animierte, wehrte Cavendish sich gegen die Fesseln, die ihn festhielten.
Das Pendel schwang tiefer und tiefer, bis es nur noch wenige Zentimeter von der sich heftig hebenden und senkenden Brust entfernt war. »Er wird getötet!«, kreischte eine Frau.
»Zerschnitten und gewürfelt«, sagte Emil mit unangemessener Fröhlichkeit. Er senkte die Stimme zu einem Bühnenflüstern ab.
»Ich fürchte, Lord Cavendish ist nur ein Schmierenkomödiant und übertreibt entsetzlich. Keine Sorge, meine Freunde. Das Messer besteht aus Holz. Wir wollen doch nicht, dass unsere Gäste zerlegt werden. Aber wenn es Ihnen tatsächlich so nahe geht …«
Er schnippte mit den Fingern, und das Pendel schwang aus und blieb stehen. Cavendish bäumte sich noch einmal heftig auf, dann lag er still und rührte sich nicht mehr.
Emil geleitete die Gäste ins letzte Verlies. Obgleich in diesem Raum keine Szene aufgebaut worden war, war er der furchteinflößendste von allen. Die Wände waren mit schwarzem Samt bezogen, der alles Licht verschluckte. Die Atmosphäre war äußerst bedrückend. Alle atmeten erleichtert auf, als Emil seinen Gästen erklärte, welchem Korridor sie folgen mussten, um aus den Verliesen herauszufinden. Als Austin und Skye Anstalten machten, den anderen Gästen zu folgen, versperrte er ihnen den Weg.
Austin stolperte betrunken und riss sich mit einer übertriebenen Geste die Kappe vom Kopf. »Nach Ihnen, Gaston.«
Emil hatte seine lächerliche Prospero-Rolle abgelegt, und seine Stimme klang jetzt so geschäftsmäßig und hart wie kalter Stahl. »Während Marcel unsere Gäste aus den Katakomben herausführt, muss ich Ihnen und der jungen Lady etwas ganz Besonderes zeigen«, sagte er und hob einen Vorhang aus schwarzem Samt hoch, der vor einer Wand hing. Hinter dem Vorhang befand sich eine Öffnung im Mauerwerk, die etwa einen halben Meter breit war.
Austin blinzelte. »Was geht hier vor? Gehört das noch zu der Show?«
»Ja«, antwortete Emil mit eisigem Lächeln. »Das gehört zu der Show.« Er zückte eine Pistole.
Austin betrachtete die Pistole und lachte trunken. »Verdammt gute Show«, sagte er und schüttelte den Kopf, sodass die Glöckchen an der Kappe, die er wieder aufgesetzt hatte, heftig klingelten.
Er trat durch die Öffnung, dann folgte Skye, und Emil bildete die Nachhut. Sie stiegen zwei weitere Treppen hinunter. Die Temperatur sank merklich, und die Luft roch sumpfig. Wasser glitzerte an den Wänden und tropfte auf ihre Köpfe. Sie setzten den Abstieg fort, bis Emil ihnen schließlich befahl, vor einer Art Nische stehen zu bleiben, die etwa einen Meter fünfzig breit und fast ebenso tief war.
Er steckte die Fackel in eine
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