KillerHure
Hemd, Lederjacke. Aber die Leute um ihn herum weichen ihm aus, vermeiden seine Nähe. Er bewegt sich in einer eigenen Blase von leerem Raum, gebildet durch seine unbewusste Ausstrahlung.
Nur die Ausstrahlung von Gefahr erzeugt eine solche Wirkung.
Unsere Blicke treffen sich, der Typ grinst leicht und nickt mir zu. Ich singe weiter und zeige keine Reaktion. Täusche ich mich oder war dieser Mann auch schon bei meinem letzten Konzert vor ein paar Wochen dabei? Lungerte hinten im Saal an der Bar herum, den ganzen Abend ein halbvolles Bierglas in der Hand? Der einzige, der nicht tanzte?
Meine Freude ist weggeblasen, ich fühle mich angespannt und nervös. Der Tausendfüßler beißt auf seinen tausend Fingernägeln herum. Glücklicherweise muss ich nur noch vier weitere Songs überstehen, bevor ich mich mit Anstand und einer Zugabe von der Bühne entfernen kann. Das Pfeifen der Leute folgt mir bis in den Verschlag hinter der Bühne, der als Garderobe herhalten muss.
»Geile Show heute Abend, Jana!« Alex lacht mich breit an, während er seinen Bass in das Case staut. Er ist ein wenig in mich verschossen und würde unsere Bekanntschaft gern vertiefen. Um etwa fünfzehn Zentimeter zumindest.
Ich lächle unverbindlich.
»Gut gespielt, Leute!«
Boris, der Drummer, reagiert überhaupt nicht, er staut nur weiter missmutig seine Toms zusammen. Patrick, Keyboards und Background Vocals, grinst zurück. Er ist die eigentliche Seele der Band. Ihn mag ich am meisten, allerdings ist er stockschwul. Was vielleicht ganz gut so ist.
Nachdem uns Mirko unsere Gage gebracht hat, gibt es keinen weiteren Grund, nicht den Heimweg anzutreten. Ich ziehe meine dünne Lederjacke fester um mich und trete durch den Hintereingang hinaus in die kleine Seitenstraße, die um diese Zeit nur notdürftig von ein paar nackten Glühbirnen über Stahltüren erleuchtet wird.
Warum überrascht es mich nicht im Geringsten, dass der unheimliche Typ hier auf mich wartet? Seine Augen leuchten befriedigt auf, als er mich sieht. Ein attraktiver Mann, vielleicht dreißig Jahre alt. Kompakter Körper. Dunkler Teint. Irgendwo aus dem Mittelmeerraum, vermute ich.
»Meinen Glückwunsch!«, meint er mit nur ganz leicht ironischer Stimme und völlig ohne jeden Akzent, aber im singenden Tonfall einer fremden Zunge. »Sie sind eine richtige Künstlerin! Dürfte ich um ein Autogramm bitten?«
Dann sagt er meinen Namen. Meinen richtigen.
Und hält mir einen Stift und ein Foto unter die Nase.
Mein erster Gedanke beim Anblick des Fotos ist: Ich bin wunderschön! Erst dann erfasse ich das Bild. Ich stehe nackt und breitbeinig im Hintergrund, die große Pistole in meinen Händen ist gerade nach oben gezuckt. Im Vordergrund wird Denise von der Wucht des Einschlags umgerissen, dunkle Spritzer erfüllen die Luft neben ihrem Hals. Von Georg sind nur ein Schenkel und etwas Bauch zu sehen, aber ich habe keinen Zweifel, dass es weitere Fotos gibt. Viele davon! Ich spüre förmlich, wie der Tausendfüßler das vorderste Beinpaar vor der Brust verschränkt und mich mit einem unerträglichen »Habe-ich-doch-gleich-gesagt!«-Blick ansieht. Nun kenne ich den Grund für die Verzögerung bei der Pressemeldung.
Ich sehe den Mann an. Jetzt spüre ich es selbst. Die Aura von Gefahr, den fast körperlich wahrnehmbaren Hauch von Gewalt und Tod, der ihn umgibt. Von ferne höre ich das Dudeln von Musik, aber hier, in der engen Seitengasse, sind wir völlig allein.
Er lächelt zurück, gefasst und aufmerksam. Er beobachtet mich wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Studiert mich. Lernt.
Achselzuckend nehme ich das Foto und kritzle unleserlich etwas darunter, das genauso gut mein Name wie auch ein Fluch sein kann.
Ein wenig wundere ich mich schon über mich selbst. Ich bleibe völlig ruhig, auch wenn mein ganzes Leben von einer Sekunde auf die andere in Stücke fällt. Der Tausendfüßler beobachtet mich, schreitet aber nicht ein. Er hat seine Arbeit getan, nun liegen die Karten auf dem Tisch.
Dann wird mir klar, dass ich schon immer wusste, dass dieser Augenblick einmal kommen würde. Dass es unausweichlich war. Dass ich den Moment insgeheim schon tausend Mal erlebt habe.
»Also schön!«, sage ich. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Brendan McCray. Meine Freunde nennen mich Bren.«
Ich nicke. Ein weiterer Name. Nicht sein richtiger, aber er genügt als Bezeichnung. Und ich bin mir absolut sicher, dass er so etwas wie Freunde überhaupt nicht hat. Genauso wenig wie ich.
»Gut. Bren.
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