Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
die Fahnder, dass der Täter seinen Lebensmittelpunkt im Großraum Bremen hat. Oder dort jetzt noch lebt oder beruflich tätig ist. Die Morde in Holland und Frankreich hingegen könnte der Mann während eines Urlaubs begangen haben. In der relevanten Region können mehr als hundert Männer ermittelt werden, die Übereinstimmungen mit dem Täterprofil erkennen lassen und deshalb überprüft werden müssen, zunächst verdeckt. Erst wenn sich ein Verdacht begründen lässt, tritt die Polizei an die Männer heran.
Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Noch hat der Unbekannte die Nase vorn, noch kann er sich frei entscheiden, noch hat er die Wahl. Und je länger die Kripo erfolglos bleibt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich daran nichts ändert. Schließlich hinterlässt der Täter kaum Spuren, und niemand sah jemals sein Gesicht.
»Wer arbeitet, der macht auch Fehler. Aber für mich als Betroffenen war es unerträglich, dass die Kripo so viele Fehler gemacht hatte. Ich habe ganz sicher nicht mit allen meinen Vermutungen und Hinweisen recht gehabt, aber in meinen Augen waren das notwendige Recherchen, die gemacht werden mussten. Und als Angehöriger eines der Opfer, als unmittelbar Betroffener sah ich einfach keinen anderen Weg.«
Die Ermittler forcieren zwar die Öffentlichkeitsarbeit, doch es ist nicht in ihrem Sinne, den Täter lediglich als konturlosen »Maskenmann« zu beschreiben, der sich wie in einer Horrorgeschichte in die Zimmer der Opfer schleicht, als hätte Stephen King ihn dort hineingeschrieben. Zu groß erscheint die Gefahr, in dem Gesuchten nur ein Monster zu sehen, einen Menschen, der jenseits der sozialen Norm existiert – und eben nicht dort lebt, wo ihn die Fahnder vermuten: mitten in der Gesellschaft. So könnte der Blick auf den Täter verstellt sein.
Deshalb soll der Gesuchte nun entmonstert werden. Zu diesem Zweck begleitet Anfang 2004 ein Filmteam die Ermittler für mehrere Monate, und die Fallanalytiker sollen die Zuschauer mit dem psychologischen Profil des Täters vertraut machen, das bislang nur kursorisch öffentlich gemacht wurde, um möglichst viele Verdächtige erfassen zu können. Die Schrotflinte hat nun ausgedient, jetzt versucht man es mit dem Präzisionsgewehr.
Die Ermittler erhoffen sich durch die Veröffentlichung dieses Profils, das im Laufe der Jahre verfeinert worden ist, neue Hinweise auf den Täter, besonders aus seinem sozialen Umfeld. Denn Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn, aber auch Mediziner oder Psychologen wissen viel über bestimmte Personen, und mit Hilfe der TV-Dokumentation soll dieser Personenkreis davon überzeugt werden, ihren Verdacht an die Soko weiterzugeben. Am 20. Juli 2004 ist es schließlich so weit. »Der Fall: Kevin und der Mann mit der Maske« wird im ZDF ausgestrahlt.
Die Fallanalytiker beschreiben darin den Gesuchten als 30 bis 40 Jahre alten, auffällig großen, intelligenten, berufstätigen, möglicherweise studierten Mann, der gut mit Kindern umgehen kann. Da er die Opfer in vielen Fällen vorher ausspioniert hat, dürfte der Gesuchte ledig sein und allein leben. Auffällig ist, dass er viele Opfer stets nachts aus Schullandheimen geholt hat, immer aus dem letzten Zimmer im Flur. Der aktuelle beziehungsweise ehemalige Lebensmittelpunkt des Gesuchten liegt vermutlich in Norddeutschland, möglicherweise in Bremen, auch dürfte in diesem Zusammenhang die Gemeinde Hepstedt eine Rolle spielen. Der Täter, so die zentrale Aussage, ist eben kein »Monster«, sondern eher ein Jedermann, dem es durchweg gelingt, sein persönliches Umfeld über sein abnormes Verlangen im Unklaren zu lassen. Von einer »doppelten Buchführung« ist die Rede.
In den nächsten Tagen gehen bei der Soko aus ganz Deutschland zahlreiche Hinweise ein, teilweise werden auch Orte und Namen genannt. Wieder setzt eine dynamische und mitunter hektische Phase der Ermittlungen ein, die alle Beteiligten enorm fordert. Und es gelingt auch, in der Folgezeit eine Reihe von Pädosexuellen zu überführen, doch der »schwarze Mann« ist nicht darunter.
Allerdings sind durch den TV-Beitrag nicht nur mögliche Zeugen motiviert worden. Acht Tage nach Ausstrahlung der Sendung entdecken Kinder beim Spielen auf dem Schulhof einen Mann, der sich im Gebüsch versteckt: vermummt, mit einem Messer in der Hand. Die Polizei wird alarmiert, zweihundert Polizisten, darunter auch mehrere Spezialeinsatzkommandos, durchsuchen daraufhin stundenlang das Schulgelände, die
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