Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
nicht getraut habe. Mittlerweile habe er jedoch zwei meiner Bücher gelesen und könne sich vorstellen, mit mir ein Gespräch zu führen.
Ich traf Thomas Graber im zeitlos anmutenden Besuchsraum (dort gab es nur zwei klapprige Holzstühle und einen Tisch) einer Justizvollzugsanstalt. Er machte in unserem zweieinhalbstündigen Gespräch einen eher distanzierten, gemütsarmen, mitunter etwas phlegmatischen Eindruck, immer wieder mal wurde seine ängstliche Grundstimmung erkennbar, seine Unzufriedenheit mit sich selbst, aber auch Gefühle der eigenen Minderwertigkeit und Einsamkeit. Wenn er mit sich und seinem Schicksal haderte, umspielte seine Lippen dieses für ihn typische selbstmitleidige Lächeln. Auf der anderen Seite beeindruckte er mich mit seiner neurotisch eingefärbten Bereitschaft, Intimstes preiszugeben und sich zu seiner eigenen Unzulänglichkeit zu bekennen. Er sprach leise, aber mit fester Stimme. Allerdings entstand bei mir zu keinem Zeitpunkt der Eindruck, mein Gesprächspartner könnte seine Taten bereut haben.
»Die Sachen sind halt passiert. Damit muss man klarkommen. Ich kann nicht sagen, dass mir die Opfer leidgetan hätten. Heute sehe ich das etwas anders. Ich habe schwere Schuld auf mich geladen, das ist richtig. Aber trotzdem kann ich für die Frauen, die ich getötet habe, kein Gefühl empfinden. Da ist einfach nichts.«
Spurensuche Elternhaus: Der Ausgangspunkt für seine hochabnorme Entwicklung dürfte auch in der ambivalenten und als unbefriedigend erlebten Beziehung zu seinen Eltern zu suchen sein: Die Mutter hatte nach seiner Aussage innerhalb der Familie – Thomas Graber hat noch einen drei Jahre älteren Bruder – die dominante Rolle und verbreitete eine überaus autoritäre Atmosphäre.
»Wenn meine Eltern sich gestritten hatten, war sie danach tagelang nicht ansprechbar. Sie bestrafte meinen Vater mit Schweigen. Sie legte sehr großen Wert auf Ordnung und Disziplin. Erst musste ich meine Pflichten erfüllen, dann durfte ich spielen. Wenn ich nicht gehorchte, gab es was auf die Finger oder ins Gesicht.«
In der Regel herrschte bei ihm zu Hause eine deprimierende Stimmung. Der Vater, von Beruf Verwaltungsrichter, war aus Sicht des damaligen Jungen zu weich und zu gutmütig, um sich gegen seine Frau durchsetzen zu können. Aus diesem Grund sah er in seinem Vater nur wegen seiner gehobenen beruflichen Stellung ein Vorbild, zwischenmenschlich war er von ihm enttäuscht.
»Mutter hatte immer recht. Mein Vater war einfach zu schwach und hat sich auch nicht für seine Kinder eingesetzt. Natürlich habe ich meine Eltern geliebt, aber ich fühlte mich nicht richtig angenommen. Ich musste immer nur funktionieren. Wichtig war eben die Schule, später der Beruf. Mit der Zeit habe ich mich dann auch zurückgezogen. Um meinen Eltern zu gefallen, habe ich mich in der Schule und auch später im Studium besonders bemüht. Aber das wurde irgendwie auch nur abgenickt.«
Spurensuche Sexualität: Erst als 16-Jähriger begann Thomas Graber, sich selbst zu befriedigen, mitunter mehrmals täglich.
»Das war reiner Zufall. Ich hatte einen Schlagbohrer in der Hand, der stark vibrierte. Dadurch bekam ich eine Erektion. Dann habe ich das halt ausprobiert und im Grunde jeden Tag wiederholt.«
Zu dieser Zeit verliebte er sich in ein Mädchen aus seiner Jahrgangsstufe, war aber etwa ein halbes Jahr lang »nicht mutig genug«, es anzusprechen. Während einer Kursfeier ging er schließlich auf die junge Frau zu und unterhielt sich mit ihr, aber als er sie schließlich küssen wollte, wurde sie sehr ärgerlich und wies ihn mit derben Worten zurück.
»Das hat richtig weh getan. Ich kam mir vor wie der letzte Mensch und habe mich geschämt. Ich fühlte mich als Versager. Ab da bin ich auch irgendwie in eine Gegnerschaft zu den Frauen getreten.«
In den folgenden Jahren unternahm er zunächst keine Versuche mehr, sich einer Frau sexuell zu nähern. Stattdessen wurden seine abnormen Phantasien stärker, in denen er vornehmlich seine Mutter zum Geschlechtsverkehr zwang, später gesichtslose Frauen, die bei seinem Anblick in Panik gerieten.
»Irgendwann kam auch Gewalt ins Spiel. In dieser Zeit, da war ich so 20, 21 und schon aus dem Haus, habe ich regelmäßig Videos und Pornos geguckt, wo Frauen vergewaltigt und auch getötet wurden. Mein Lieblingsfilm war aber ›Halloween‹. Dieser Michael Myers hat mich fasziniert. Der war absolut böse und hat sich an seiner Familie gerächt. Da hab ich mich richtig
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