Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
entrechtet, zum Objekt seiner sexualisierten Gewalt degradiert und schließlich zum Schweigen gebracht. Letztlich bleibt dieser Erklärungsansatz aber hypothetisch, solange Joachim Mattock sich weigert, genauer darauf einzugehen, und mir seine Gefühlswelt genauso vorenthält wie die Phantasien, die ihn bei seinen Taten angetrieben haben. Nur so viel erscheint mir zu diesem Zeitpunkt unzweifelhaft: Ich werde mich in Geduld üben müssen, will ich der Sache auf den Grund gehen.
Im Frühjahr 2009 erhalte ich die E-Mail einer Regisseurin aus Wien. Die Max-Ophüls-Preisträgerin Barbara Eder möchte eine Kinoproduktion über »Profiler« realisieren – und ich soll darin bei meiner Arbeit gezeigt werden. Geplant ist ein international produzierter Dokumentarfilm, in dem fünf weltweit tätige Kriminalexperten porträtiert werden. Ich vereinbare mit Barbara Eder, dass wir uns zunächst treffen und die Sache in Ruhe besprechen.
Wir lernen uns sechs Wochen später in Düsseldorf persönlich kennen. Barbara Eder ist eine überaus engagierte, intelligente Frau, die im Gespräch sogleich versucht, mir meine Rolle in dem Kinofilm »Blick in den Abgrund« näherzubringen: Sie habe meine Bücher gelesen und sei vor allem deshalb an einer Zusammenarbeit interessiert, weil ich im Gegensatz zu anderen Profilern den Mensch in den Vordergrund stellen würde und nicht seine Taten. Und genau diesen Aspekt wolle sie in ihrem Film besonders herausarbeiten und mich bei Interviews mit Tätern filmen. Ich bin einverstanden.
Aus Erfahrung bei anderen Fernsehprojekten weiß ich jedoch, dass es ungemein schwierig ist, Serienmörder für ein Interview zu gewinnen, weil sie mit Medien schlechte Erfahrungen gemacht haben oder glauben, in ehrverletzender Weise dargestellt worden zu sein. Diese Vorbehalte sind durchaus begründet. Bei meinen Überlegungen zu geeigneten Gesprächspartnern kommt mir auch der Name des Mannes in den Sinn, den ich zwar seit geraumer Zeit kenne, der auch vor vier Jahren als Proband an einem meiner Forschungsprojekte teilgenommen hat, dem ich aber immer noch nicht nähergekommen bin: Joachim Mattock.
Allerdings hat die Sache mindestens einen Haken: Sollte ich ihn wieder nicht dazu bringen können, auch über seine Phantasien, Motive und Taten zu reden, wäre nichts gewonnen. Und ich blamiert. Einerseits. Andererseits sehe ich gerade in diesem Gespräch eine echte Herausforderung und darf auch darauf hoffen, dass Joachim Mattock bei seiner langjährigen Therapie mittlerweile vorangekommen ist.
Gespräche mit dem Fachpersonal, das ihn betreut, bestätigen schließlich meine Vermutung: Er hat erhebliche Fortschritte gemacht und ist auch bereit, mit mir vor laufender Kamera zu sprechen. Nur vermag ich nicht sicher einzuschätzen, wie Joachim Mattock auf die besonders belastende Situation reagieren wird, wenn an seinem Hemd ein Mikrophon steckt und zwei Kameras auf ihn gerichtet sind. Und ob ich der Doppelbelastung des Interviewers und Darstellers in einer Person gewachsen sein werde, muss sich ebenfalls erst noch erweisen. Mir ist klar, dass ein solcher Erfolg nur bedingt planbar ist und eine Kamera alles sieht und nichts verzeiht.
Am 5. Juli 2011 ist der Tag X. Ich werde in Düsseldorf vom Filmteam abgeholt, das aus dem Produktionsleiter, der Regisseurin, einem Kameramann, seiner Assistentin und dem Tonmeister besteht. Wir haben in den letzten Monaten bereits zusammengearbeitet und sind uns auch menschlich nähergekommen. Trotzdem bin ich an diesem Tag nervös. Lampenfieber. Erwartungsdruck. Denn: Die Sache kann auch gründlich danebengehen.
Als wir gegen 11.30 Uhr am Drehort eintreffen, durchlaufen wir den üblichen Sicherheitscheck, müssen Handys in Schließfächern deponieren, unsere Pässe abgeben und erhalten dafür einen Besucherausweis. Während unseres Aufenthalts in dem durch hohe Mauern, Zäune und Kameras hochgesicherten Bereich der psychiatrischen Klinik werden wir von einem freundlichen Mitarbeiter der Presseabteilung begleitet und betreut.
Nachdem die Außenaufnahmen gedreht worden sind, werden wir zum Haus 26 gebracht. Joachim Mattock, der bereits auf seinem vergitterten Balkon steht und mir zuwinkt, ist dort untergebracht. Als ich ihn so hinter Stahl sehe, denke ich unwillkürlich an einen Raubtierkäfig.
Er hat sich seit unserer letzten Begegnung äußerlich verändert: weniger Haare, mehr Bauch. Wir unterhalten uns kurz. Smalltalk. Danach bringt unser Begleiter das Team und mich in den
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