Killers: Roman (German Edition)
ganzes Leben lang still und heimlich machen, Alex?«, forderte Charles sie heraus. » So wie unser Vater, der Maulwurf? Oder willst du wie ein Löwe sein, so wie ich?«
Sie hatten ihrem Vater den Spitznamen Maulwurf gegeben, weil er sich stets vor Leuten versteckte. Er war die ganze Zeit von Sorgen und Zweifeln geplagt, hasste sich selbst. Er steckte den Kopf in den Sand und hoffte, dass er seine Scham somit gleichzeitig loswerden würde. Ja, er hatte getötet. Aber er hatte stets so viel Zeit mit der Planung verschwendet und sich danach trotzdem selbst gehasst. Er war ein Sklave seines Triebs. Er war besessen. Charles aber bestand darauf, dass es genau andersrum laufen sollte.
Im Gegensatz zu Maulwürfen töteten Löwen ihre Beute im Freien. Sie schlichen sich an und schlachteten voller Stolz und in Freiheit. Sie waren ganz oben in der Nahrungskette und sich dessen auch bewusst.
» Ich will ein Löwe sein, Charles. Aber ich bin noch nicht so weit.«
Charles starrte sie an.
Nach einigen Sekunden der Stille nickte er. » Okay, aber sobald du so weit bist, besuchst du mich mal.«
Alex verspürte das Verlangen, ihre Arme um ihn zu werfen, ihn zu küssen, ihn anzuflehen, sie nicht zu verlassen. Stattdessen aber griff sie nach dem Koffer und nahm sich die Nadelzange. Das Werkzeug verlieh ihr Kraft.
» Weißt du noch, wie Mutter geschrien hat, als du ihr mit der da gekommen bist?«, fragte Charles sie.
Alex nickte. Ihr Atmen wurde schneller, und ihr Hals war trocken. Sie fuhr mit den Nadelspitzen an ihre Nase, roch aber nur die Überreste des Reinigungsalkohols, mit dem sie die Zange immer säuberten. Sie konnte nicht anders, als das Folterinstrument mit der Zunge zu berühren.
Das Metall war kühl und wies einen scharfen Geschmack auf.
» Die kannst du behalten«, bot er ihr an.
Jetzt umarmte Alex ihn doch– so fest, dass er grunzen musste.
» Immer locker, Schwesterchen. Sonst brichst du mir noch meine verdammten Rippen.«
Alex lockerte ihren Griff etwas und nahm ihren Bruder dann bei den Händen.
» Und was passiert, wenn sie dich schnappen?«, fragte Alex. Sie wusste, dass dies die Worte ihres Vaters hätten sein können, aber sie hatte wirklich Angst um ihren Bruder.
Charles lächelte. » Die Bullen werden mich niemals fassen. Wie in dem Kinderbuch– ich bin der Lebkuchenmann.«
Er blinzelte sie an, schloss den Koffer und verließ das Zimmer.
Alex kämpfte gegen ihre Traurigkeit an, konnte aber ihre Wut nicht bändigen.
Sie stürmte durch die Bruchbude, die sie ihr Haus nannte, durch die Haufen von Müll, die überall herumlagen, kam zur Schlafzimmertür ihres Vaters und warf sie auf.
Vater saß auf dem Bett, nackt. Das Laken unter ihm war voller Blut. In der einen Hand hielt er ein Nadelkissen, in der anderen eine Nadel, die er gerade in die Innenseite seines blassen, fleischigen Oberschenkels stach.
» Er hat uns verlassen«, sagte Alex.
Ihr Vater starrte sie an, die Augen glasig und voller Tränen.
» Ich bin ein Sünder, Alex«, beichtete er ihr mit bebender Stimme.
» Ja, das bist du. Du bist ein böser Mann, und du solltest bestraft werden.«
Ohne dass man ihm weitere Anweisung hätte geben müssen, nahm er seine Position ein. Er kniete sich auf den Boden und hob die Hände gen Himmel, als ob er beten wollte. Sein Rücken war mit alten Narben und frischem Wundschorf übersät.
Alex ging zum Schrank, betrachtete sämtliche Werkzeuge, die ihr zur Verfügung standen, und wählte schließlich die lederne Reitpeitsche.
» Ich bin ein Mörder, o Herr«, stöhnte ihr Vater. » Bitte hilf mir und vergib mir meine Sünden.«
Alex glaubte nicht an Gott. Obwohl ein Teil von ihr noch ihren Vater fürchtete, vor allem die Dinge, die er ihr und anderen angetan hatte, war er schwach.
Aber Leute wie sie durften nicht schwach sein und keine Angst oder Scham verspüren.
Leute wie sie sollten herrschen.
Aber was oder wer genau waren Leute wie sie?
Alex hatte einmal einen Ausdruck in einem Film gehört, den sie als sehr treffend empfunden hatte. Er passte auf sie wie die Faust aufs Auge.
Serienmörder.
Charles hatte ihn sich zu eigen gemacht, Vater aber scheute ihn wie die Pest.
Alex war sich nicht sicher, welchen Weg sie einschlagen würde, aber einer Sache war sie sich absolut sicher.
Es gab nichts Berauschenderes und Höheres auf der Welt, als anderen Menschen Schmerzen zuzufügen.
Vater zitterte.
Alex hob die lederne Reitpeitsche.
Der erste Hieb erregte sie.
Der letzte Hieb war…
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