Killers: Roman (German Edition)
gewesen.
Die Tage zusammen am Strand.
Oder unten in Portsmouth.
Oder ihr Lieblingszeitvertreib… Sie hatten den Kormoranen, die immer der Fähre zwischen Ocracoke und Hatteras hinterherflogen, trockenes Brot zugeworfen.
» Du bist meine beste Freundin gewesen«, fährt Luther fort. » Ich habe dich so sehr geliebt. Kannst du dich noch an den Sturm erinnern? Der Strom ist ausgefallen, und dann hat es den Baum im Garten erwischt. Wir haben die ganze Nacht im Schrank verbracht, während der Wind um das Haus gepfiffen hat. Wir haben uns vorgestellt, dass eine Geisterarmee uns kidnappen wollte, aber im Schrank waren wir in Sicherheit.«
» Junge«, unterbricht Maxine. » Sag ihr, dass du sie liebst.«
Aber er will es nicht sagen, und er weiß selber nicht, warum.
Vielleicht, weil zu viele Jahre vergangen sind.
Weil seine Eltern zuhören.
Weil es ihm befohlen wird.
Weil das alles so unendlich verwirrend ist.
Er würde es viel lieber sagen, wenn er es mit ganzem Herzen spürte, in einem ruhigen Augenblick, wenn alles wieder normal wäre.
» Verdammt noch mal, Luther!«
» Ich liebe dich, Katie.«
» Welch wunderbare Empfindung«, schwärmt Rufus und wendet den Blick keinen Augenblick von Katie ab. » Gibt es irgendetwas, das du uns sagen willst, Liebling? Wir haben uns dir soeben offenbart, und ich verstehe, dass alles sehr schwierig für dich sein muss, aber wir sind als Familie immer sehr offen gewesen, haben unsere Gefühle nie verschwiegen. Und ich glaube, dass es das war, was uns so stark gemacht hat.«
Die Tränen kullern ihre Wangen hinab.
Sie beginnt zu zittern.
» Bitte, Katie, rede mit uns.«
Das junge Mädchen wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
» Ich will nach Hause, bitte.«
» Aber Schatz, du bist doch zu Hause«, versichert Maxine ihr.
» Warum sagst du das immer wieder?«, brüllt Katie.
» Katie, so hör doch zu, bitte…«
» Ich heiße nicht Katie!«
Dann springt sie auf und kickt den Stuhl zu Boden, ehe sie an Rufus und Maxine vorbei die Treppe hinabläuft.
Die alte Holzkonstruktion ächzt und stöhnt unter ihrem Gewicht.
Rufus schüttelt den Kopf.
» Ich habe es dir doch gesagt«, ermahnt Maxine ihn. » Das wird so weitergehen, wenn du sie nicht am Stuhl festklebst. Sind alle Türen und Fenster geschlossen?«
» Nein.«
» Nein?«
Die Schritte des Mädchens werden immer leiser, je weiter sie sich von ihnen entfernt.
» Nein, meine Liebe.«
» Sie wird…«
Rufus lächelt. » Sie wird nicht…«
Plötzlich ertönt ein Schrei aus dem Parterre, und Luther hört, wie etwas zu Boden fällt.
» UmGotteswillenUmGotteswillenUmGotteswillen, um… Gottes… willen!«
Maxine wirft ihrem Mann einen finsteren Blick zu.
» Rufus… Was hast du jetzt wieder angestellt?« Ihre Stimme klingt, als würde sie einen Hund rügen.
Rufus nimmt sich eine Auster von Luthers Teller, schlürft sie hinunter und richtet sich dann auf.
» Kommt, ich zeig es euch.«
Luther folgt seinen Eltern aus dem Esszimmer die Treppe hinab.
Die Schreie des Mädchens werden immer lauter, je näher sie kommen.
Die Gänge im Haus der Kites sind in Schatten getaucht.
Die Lampen an den Wänden verbreiten nur tristes Licht, das kaum die alten Dielen erreicht.
Das Haus schien mit jedem Jahr düsterer geworden zu sein, das seit jenem schicksalhaften Tag am Strand vergangen war, schien immer weniger von der Helligkeit von draußen einzulassen.
Luther sieht, wie seine Eltern auf dem Treppenabsatz innehalten.
Im Licht des Weihnachtsbaums im Wohnzimmer– winzige, weiße Lichtlein– kann Luther den leblosen Körper eines Mädchens ausmachen.
Rufus blickt zu Luther hinab.
Fährt mit der Hand durch seine Haare.
» Willst du deinem Vater helfen, sie aufzuräumen?«
» Klar.«
» Ich mach euch einen Vorschlag, ihr beiden Schätze«, meldet sich Maxine. » Ihr macht da sauber, und ich räume den Tisch ab.«
» Geht in Ordnung.«
Rufus und Luther gehen die Stufen zum Wohnzimmer hinab.
Das Mädchen hat aufgehört zu schreien und das Bewusstsein verloren.
» Jetzt pass auf, Junge«, warnt Rufus seinen Sohn, als sie beinahe unten angekommen sind. » Der Draht ist über der drittletzten Stufe gespannt. Siehst du ihn?«
Luther sieht ihn.
Nicht den rasiermesserscharfen Draht an sich, aber das Blut, das an ihm klebt und im sanften, weißen Schein des Weihnachtsbaums glitzert.
Tief in den Eingeweiden des Hauses, ganz unten in den von den Kites erst kurz zuvor entdeckten Erdstollen, schleppen Rufus und
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