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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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festgenagelt. Sie wirkte erstaunt und enttäuscht. An ihrer Bluse und im Gesicht hatte sie Blut. Sie starrte auf ihre rechte Hand.
    »Mein Gott«, sagte ich. Der Sprengsatz musste winzig gewesen sein, in der Lenkradsäule versteckt. Keiner ihrer Finger fehlte ganz, doch einen hatte sie größtenteils verloren, dazu den halben Daumen und ein Stück seitlich an der Hand.
    »Ich bin okay«, sagte sie. »Ich bin okay.«
    Mit geradezu unheimlicher Ruhe griff sie unter den Sitz und zog ein T-Shirt heraus. Sie wickelte es sich eng um die Hand und blinzelte schnell, aber regelmäßig.
    »Geht schon«, sagte sie, aber ich glaube, sie sprach nicht mit mir. Sie atmete langsam und bewusst, als zählte sie bei jedem Zug die Sekunden.
    Mit Mühe drehte sie sich auf ihrem Sitz um, und ich half ihr aus dem Pick-up auf die Straße.
    »Kommen Sie«, sagte ich. »Ich fahre Sie ins Krankenhaus.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Mir geht’s gut.«
    »Nein, tut es nicht. Sie müssen ins Krankenhaus.«
    »Wie? Rufen Sie
bloß
nicht die Polizei.«
    »Mit meinem Wagen«, sagte ich. »Der steht noch auf dem Lido. Kommen Sie.«
    Ich packte sie am Arm und versuchte, mit ihr die Straße zu überqueren. Auf der Suche nach einer Parklücke fuhren die Autos dicht um uns herum, während die Fahrer schon die ersten Cocktails oder panierten Krabben vor sich sahen oder ihre Chancen taxierten, Sex zu haben, wenn die Kinder erst schliefen. Ms. X war schwer zu überzeugen.
    »Im Ernst«, sagte ich und versuchte, ruhig zu bleiben oder zumindest so zu klingen. Ich hob den Kopf, um eine Lücke im Strom zu finden, durch die ich sie weiterziehen konnte.
    »Gehen wir …«
    Da sah ich ihn. Auf dem Bürgersteig gegenüber, den Blick auf uns gerichtet. Hunter. Die Hände entspannt an der Seite, stand er da, ein statischer Fixpunkt, ein Fels in Jeans und Freizeitjacke. Er sah aus, als hätte er schon immer da gestanden, seit einer Ewigkeit, noch bevor es den Circle gab.
    Ich zerrte Ms. X fester, und endlich lief sie los und stolperte mir hinterher wie ein Kleinkind, das man zu etwas bewegen möchte, das es partout nicht machen will. Ein großer weißer Ford hupte, hielt dann aber an, um uns durchzulassen.
    »Waren Sie das?«, brüllte ich Hunter zu, als wir uns ihm näherten. »Haben Sie das getan?«
    »Es ist mein Geschenk an Sie«, sagte er. »Als Leidensgenosse. Eines der
Modified
-Opfer.«
    »Was? Wieso tun Sie so etwas?«
    »Ich hab Ihnen zugehört«, sagte er. »Überlegen Sie selbst – wer war als Erste vor Ort, als Sie heute Morgen aufgewacht sind? Wer kam und hat an die Tür gedonnert? Schien sie überrascht, dass Ihre Freundin weg war? Was hat sie dann gemacht? Sie hat Sie zur Flucht angetrieben, bevor Sie einen klaren Gedanken fassen konnten. Hat Sie in diesen Pick-up verfrachtet und ist mit Ihnen losgefahren, als wäre Ihnen jemand auf den Fersen. Aber haben Sie tatsächlich jemanden gesehen? Haben Sie?«
    Ich wollte etwas erwidern, doch er war mit seinen Gedanken schon woanders. »Ich sag ja nur«, fügte er hinzu und ging weg. Die Richtung, in die er blickte und seine Schritte lenkte, verdeutlichte, wohin er wollte.
    »Er ist Ihnen hierher gefolgt«, sagte Ms. X, während sie die Zähne zusammenbiss. »Er hat es auf Tony und Marie abgesehen.«
    Sie hatte recht. Hunter lief gemächlich die Straße entlang und steuerte die Seitentür zu Jonny Bo’s an.
    »Soll mir recht sein«, sagte ich.
     
    Ich brauchte fünf Minuten, um mit Ms. X auf der Straße über die Brücke zum Lido zu laufen, und weitere fünf, um auf dem Ben Franklin Drive zu dem Neubaukomplex zu gelangen, in den mich Hunter entführt hatte. Mein Wagen stand noch dort. Auf dem Weg dorthin sagte sie kein Wort. Ihr Gesicht war bleich, und das T-Shirt, das sie sich um die Hand gewickelt hatte, war blutgetränkt. Selbst das Blau ihrer Augen wirkte gedämpft, verwaschen. Doch sie war tapfer. Zuerst stützte ich sie, doch am Ende lief sie alleine und rannte aus eigener Kraft, so dass ihre Joggingschuhe gleichmäßig über den Boden tappten und ihre Augen wieder einen klaren Blick bekamen. Ich öffnete die Beifahrertür und half ihr hinein, bevor ich zur anderen Seite herumlief.
    »Wir fahren nicht zum Krankenhaus«, sagte sie.
    »Ms. X …«
    »Ich heiße Emily. Manchmal einfach Em, falls das hilft«, sagte sie mit einem schmerzverzerrten Lächeln. »Das bringt Sie offenbar ein bisschen ins Schleudern.«
    »Sie … sehen einfach nicht nach einer Emily aus.«
    »Schätze, meine Mutter

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