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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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gehen die Nachmittage vorüber. Es hat noch keinen gegeben, der nicht irgendwann zu Ende war – auch wenn sich einige so anfühlen, als steckten sie fest, als wäre die Zeit für immer stehengeblieben – als müsste sie für alle Ewigkeit in einem trockenen, kühlen Raum allein in ihrem Sessel sitzen.
    Doch sie schleppen sich dahin, richtiggehende Bleigewichte, weshalb Hazel, als es kurz vor drei an ihrer Wohnungstür klopft, gerne aufsteht, um nachzusehen.
     
    Draußen steht ein Mann. Der Gehweg ist viel heller als ihr Zimmer, und so sieht sie von ihm zunächst nur die Silhouette.
    »Guten Tag, Ma’am«, sagt er.
    Sein Ton ist höflich, respektvoll. Er trägt Jeans und ein Hemd, das neu aussieht. Drahtig gebaut, breite Schultern, kurzes Haar mit grauen Schläfen. Hazel wechselt den Winkel zur grellen Sonne und stellt fest, dass er recht gut aussieht, mit einem netten, offenen Lächeln.
    Alle Jubeljahre einmal spürt Hazel zarte Anwandlungen, wenn sie mit einem gutaussehenden Mann konfrontiert ist: Es muss eine unerwartete Begegnung sein, um ihren Verstand auszuschalten und direkt auf der biologischen Ebene zu wirken. Es wird nie mehr daraus werden, doch es ist trotzdem eine angenehme Erfahrung – eine kleine Erinnerung daran, dass bis jetzt erst einer der Wilkins unter der Erde liegt.
    »Guten Tag«, sagt sie. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Hoffentlich. Ich suche nach einem Mann namens Phil Wilkins.«
    Und von einer Sekunde zur anderen ist die Stimmung dahin. »Da kommen Sie zu spät«, sagt sie, nicht mehr Frau, sondern wieder Witwe.
    »Zu spät? Wann kommt er denn …«
    »Sechs Jahre zu spät. Phil ist tot.«
    Sie sieht dem Mann ins Gesicht, als er die Auskunft erhält, und es ist, als würden plötzlich seine Augen matt, wie ein zugefrorener Teich. Das bildet sie sich nur ein, doch sie ertappt sich bei dem Gedanken, dass dieser Mann hier ebenfalls weiß, was Warten heißt, und gerade erkannt hat, dass es noch nicht vorüber ist.
    Willkommen in meiner Welt, denkt sie.
    »Tot, ja?«, sagt er.
    »Ja.«
    »Tut mir leid, das zu hören.«
    »Ihnen und mir.«
    Er nickt, wirkt bekümmert. Ein bisschen zu spät merkt Hazel, dass er ihr irgendwie bekannt vorkommt, wie jemand, den sie vor langer Zeit ein, zwei Mal flüchtig gesehen hat.
    »Dann sollte ich wohl mit Ihnen reden«, sagt er und tritt ein.
     
    Eine Stunde später sitzt Hunter in seinem Wagen. Seine Tür ist offen. Er ist an einen Ort am nördlichen Ende von Longboat Key gefahren. Als er das letzte Mal da war, hatte es dort nicht mehr als ein paar Morgen niedriger, teils sumpfiger Wäldchen gegeben, die daran erinnerten, dass diese Inseln halb aus Meer, halb aus Sand bestanden – dieselbe Wildnis, die unten am südlichen Ende von Lido Key immer noch existiert. Er entdeckte die Ecke durch Zufall, nachdem er hierhergezogen war. Für jemanden, der auf den fremden Ebenen von Wyoming groß geworden ist, birgt der Grenzbereich zwischen Land und Wasser einen großen Reiz.
    Es ist nicht mehr, was es mal war. Ein Baulöwe hat es gekauft und gerodet, dann die Gerippe der Bäume fortgekarrt, die sumpfigen Stellen aufgefüllt, büschelweise Fingergras gepflanzt, so dass es jetzt wie ein Golfplatz aussieht. Alles, was die Natur hervorgebracht hat, ist verschwunden. Selbst das Meer ist in seinem Bezug zum Land eingedämmt und nach den Kriterien von Freizeitanlagen praktisch und schön. Irgendjemandem – vielleicht in Sarasota, vielleicht in New York oder Houston oder Moskau – gehört dieses Land. Hunter fragt sich, ob diese Eigentümer je daran denken, außer wenn es in ihrer Bilanz erscheint, mit der Anmerkung eines Untergebenen:
Noch nicht.
Er fragt sich, ob auch Gott ähnlich Buch führt und bei wie vielen Menschen diese Anmerkung danebensteht.
    Er ist müde, entmutigt und wütend. In den letzten zehn Jahren hat er einen Teil jedes Tages darauf verwandt, das atmosphärische Rauschen des Denkens und Wesens einzudämmen, damit ein schlichterer John Hunter einfach seine Ruhe hatte. Seit er wieder draußen in der Welt ist, fällt ihm das deutlich schwerer, doch er ist auf Kurs geblieben.
    Aber jetzt, am heutigen Tag, ist der Bann gebrochen.
    Er hat Hazel Wilkins’ Schlüssel in der Tasche. Er wird in der Nacht in ihre Wohnung zurückkehren. Bis dahin muss er sich neu sortieren, konzentrieren und zusammennehmen. Er will nicht noch weitere Fehler machen.
    Er will nicht noch etwas vermasseln.
    Er sitzt da und starrt durch die Windschutzscheibe auf einen Ort, der

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