Killerspiel
Hoffnungsindustrie.
Irgendwann steht sie auf und zieht sich einen Morgenmantel über – Phil hat sich am wohlsten gefühlt, wenn die Klimaanlage Tiefkühltemperaturen verbreitete, eine Gewohnheit, die sie bis an ihr Lebensende beibehalten wird – und tappt ins Wohnzimmer. Am einen Ende ist die Küche. Sie ist klein, um Raum zu sparen; außerdem verfügt The Breakers über zwei Restaurants, die die Bewohner bewirten möchten, wieso also Kochen attraktiver als nötig machen? Sie brüht sich eine Tasse Earl-Grey-Tee auf. Sie duscht. Sie zieht sich an. Sie schminkt und frisiert sich.
Auf dem Weg aus der Wohnung schaut sie auf den Kalender an der Innenseite der Tür. Der sagt ihr, wie lange es noch dauert, bis der nächste kleine Abschnitt ihres Lebens beginnt, bevor sie etwas Zeit bei dem einen oder anderen Kind verbringen wird. An diesem Morgen sagt ihr der Kalender, dass sie erst in drei Wochen für eine Weile zu Klara drüben nach Jupiter fahren und dort Großmutter spielen wird – wie auch kostenlose Babysitterin und gelegentlich tolerierte Ratgeberin.
Drei Wochen.
Einundzwanzig Tage.
Ihre Vormittage verbringt sie damit, durch eine Mall zu schlendern, in dem – einzigen und eher bescheidenen – Buchladen der Stadt vorbeizuschauen und sich gelegentlich mit dem einen oder anderen aus ihrem Freundeskreis zum Lunch zu treffen. Das sind Leute, die sie in den letzten Jahren kennengelernt hat, nachdem Phil gestorben und ihr Leben nicht mehr in »den Club«, wie sie es nennt, eingebunden war. Ihre Freunde sind nett zu ihr, sie treffen sich, reden und lachen, und Hazel kann nicht begreifen, wieso die Welt sich trotzdem so anfühlt, als hätte jemand die Lautstärke auf null gestellt. Vielleicht, denkt sie, eben wegen der Jahre im Club. Sie werden weiter ihren Spaß haben, nimmt sie an, nur ohne sie. Es ist etwas anderes zu wissen, dass die Welt weiterbesteht, wenn man selbst nicht mehr ist, als zuzusehen, wie alles so läuft wie bisher, während man noch da ist.
Ab und zu unternimmt sie etwas außer der Reihe, wie zum Beispiel das Kaffeetrinken mit dem gutaussehenden, aber blasierten Makler gestern. Sie weiß ganz genau, dass er sie nur benutzt, um sich bei dem, was er als Karriere betrachtet, einen Vorteil zu verschaffen – wusste es schon in dem Moment, als er mit ausgestreckter Hand auf sie zukam –, und es ist ihr egal. Sie will renovieren, und sie kennt die Thompsons lange genug, um richtig einzuschätzen, dass es leichter ist, Levitation zu lernen, als deren Verhalten zu beeinflussen. Phil könnte es, er hatte sie länger und besser gekannt und hatte selbst eine ausgeprägte sture Ader, aber Phil ist nicht mehr da.
Also gut, soll der Makler-Wunderknabe sehen, was er machen kann. Hazel bezweifelt, dass er viel ausrichten wird. In seinem Alter waren Tony und Phil – alle beide Tat- und Erfolgsmenschen – schon sehr vermögend. Vielleicht wird es ja amüsant zu sehen, wie Tony Thompson das kleine Arschloch so fertigmacht, dass es vor ihm zu Kreuze kriecht, bevor Mary noch einmal ordentlich nachtritt.
So hätte sie wenigstens etwas zu tun.
Und vielleicht, wird Hazel bewusst, spielt sie ja doch noch ihre Spielchen – wenn auch kleine und einsame Spielchen, die sie sich selbst ausdenkt.
Die Abende sind nicht schlimm. Sie trinkt ein Glas Wein in der Bar und isst etwas. Ein bisschen Fernsehen, eine kurze Lektüre und früh zu Bett. Seltsamerweise sind die Abende in Ordnung, und sei es nur, weil das Wesentliche des Abends im Ende des Tages liegt.
Es sind diese endlosen Nachmittage …
Hazel hat sich angewöhnt, sie in der Wohnung zu verbringen. In der Hochsaison, weil es draußen schwülheiß ist und sie es nicht mehr genießt, sich in Menschengruppen aufzuhalten. Und zu anderen Jahreszeiten … vielleicht fürchtet sie ja in ihrem Unterbewusstsein, dass ein Tag kommt, an dem sie alles aufgebraucht hat, was das Leben noch zu bieten hat. Besser gönnt sie es sich also häppchenweise. Nichts Besonderes zu tun, fühlt sich weniger deprimierend an, als etwas nur aus einer momentanen Laune heraus zu tun, um die Zeit totzuschlagen.
Sie liest. Sie sieht sich Fernsehserien auf DVD s an. Sie amüsiert sich mit ein paar Runden Sudoku, solange sie den Gedanken verdrängen kann, wie nutzlos es ist. Sie und Marie hatten die Leidenschaft damals in den alten Zeiten gemeinsam entdeckt, auch wenn Marie immer viel besser war als sie. Sie plaudert mit dem Dienstmädchen, das jeden zweiten Tag kommt.
Am Ende
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