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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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auf.
    In früheren Jahren ist er gereist und irgendwann an der Westküste gelandet, wo er das große Geld gemacht hat. Doch nach dem Verkauf der Firma ist er sofort nach Sarasota zurückgekehrt, etwas anderes war für ihn nie in Frage gekommen. Ihm ist klar, dass der Rest der Welt eine miese kleine Karikatur mit dem Sunshine State in Verbindung bringt: Touristenfalle. Cracker-Country. Gottes Wartesaal. Er dagegen ist der Meinung, dass man dem Himmel nirgendwo auf der Welt so nahe ist wie in der richtigen Bar mit einem kühlen Bier, einer dicken Havanna und der richtigen Begleitung. Er mag sogar Jimmy Buffet, verdammt noch mal – wieso auch nicht? –, und im Moment gäbe er alles für einen »Cheeseburger in Paradise«.
    Er hat das Gefühl, er sollte etwas auf Hunters Bemerkung erwidern. Sein Leben lang ist seine Schlagfertigkeit sein Markenzeichen gewesen. Doch im Moment fällt ihm nichts ein. Es tut weh, den Kopf hochzuhalten, aber er weiß, dass es auch weh tun würde, ihn wieder baumeln zu lassen, und es sähe schwach aus. Er ist nicht schwach, er hat immer zu den Starken gehört, ein Spieler, jemand, der sein Schicksal in die Hand nimmt, ein Strippenzieher. Ihm
gehören
die verdammten Strippen. Man muss sich schon mehr einfallen lassen, als ihn an einen Stuhl zu fesseln und fast verdursten und verhungern zu lassen, damit er seines Charakters verlustig geht – auch wenn es sein Leben bedeutend schwerer macht und zur Folge hat, dass Leute ihn aufspüren können.
    Ihn bei Nacht aufspüren können.
     
    Er hat keine Ahnung, wie spät es war, als er erwachte. Es war sehr dunkel. In den letzten Tagen hat er versucht, die Uhrzeit zu schätzen, indem er auf den fernen Verkehrslärm horchte. Es gab keinen, und so ging er davon aus, dass es die stillen frühen Morgenstunden sein mussten. Seine Kehle fühlte sich an, als schnitte jemand mit einem salzigen Messer langsam tiefe Kerben hinein. Die Wunde in seinem Bein lässt ab und zu eine dunkle Sirene ertönen, fühlt sich ansonsten jedoch bedenklich tot an.
    Sein Kopf ist ein Netz aus ausgetrockneten Bächen, und als er zu einem nebulösen Bewusstsein erwacht, probiert er wahrhaftig etwas von diesem New-Age-Schwachsinn aus, mit dem Lynn ihn zugequatscht hat, als er vor ein paar Wochen im Bett ihres Ehemannes lag.
    Er stellt sich vor, wie es in seinem Kopf regnet. Er stellt sich vor, wie sich unter seiner Schädeldecke eine Wolke bildet, die allmählich immer schwerer und dunkelviolett wird, bevor sie mit Donnergetöse platzt. Er stellt sich vor, wie das Wasser seine Gedanken erfüllt und in diesen ausgetrockneten Flussbetten fließt, zuerst nur ein Rinnsal, dann ein reißender, gurgelnder Strom.
    Doch das macht ihn nur noch durstiger. Außerdem hasst er Lynn in diesem Moment mit einer flüchtigen, fast sexuellen Intensität. Nicht, dass er sie verdächtigte, bei dieser Entführung die Hände im Spiel zu haben – er ist zu dem Schluss gekommen, dass Hunter keine solche Hilfe braucht –, sondern allein deshalb, weil er weiß, dass sie jetzt mit vollem Magen und ohne irgendwelche Sorgen in ihrem Bett liegt und schläft. Oft haben sie wochenlang keinen Kontakt, und so wird sie nicht wissen, dass er verschwunden ist. Würde es ihr überhaupt etwas ausmachen? Bis vor kurzem hätte er das ganz selbstverständlich bejaht. Sie hatten Spaß, und es gefiel ihr, sich – diskret – mit einem so vermögenden Mann rumzutreiben. Aber war er vielleicht auch einfach etwas, wovon sie nicht lassen konnte? Wäre sie über seinen Tod vielleicht sogar erleichtert?
    Er kommt unvermittelt zu dem Schluss, dass Visualisierung bei ihm einfach nicht funktioniert. Stattdessen öffnet er die Augen und sieht mitten im Raum ein Mädchen mit übergeschlagenen Beinen sitzen.
    Er schließt die Augen, öffnet sie wieder.
    Das Mädchen ist immer noch da. Es trägt eine alte, zerrissene Jeans und ein ärmelloses T-Shirt in einer blassen Farbe. Es ist nicht Lynn, Lynn hat kurzes Haar. Diese junge Frau trägt ihr Haar lang, in einer Frisur, die nicht mehr modern ist. Sie hat die Arme um die Knie gelegt und blickt zur Seite. Im Mondlicht sind ihre weichen, hübschen Züge auszumachen. Züge, die er kennt.
    »Katy?«
    Sie rührt sich nicht, nimmt ihn nicht einmal zur Kenntnis. In gewisser Weise ist er nicht überrascht, weil er weiß, dass Katy tot ist, und zwar schon seit geraumer Zeit. Aber jetzt ist sie da. Er kann sie sehen, und so sagt er ihren Namen noch einmal, etwas lauter.
    Sie steht langsam

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