Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
als zu Zeiten, da Dinosaurier die Erde bevölkerten.
    Es war dunkel, doch die Luft fühlte sich mild und warm an. An einer Stelle, etwa auf halbem Weg, blieb ich einen Moment mit gerunzelter Stirn stehen. Ich drehte mich um. Das tat ich fast immer, wenn ich hier entlangkam, hatte aber noch nie herausbekommen, warum.
    »Ach so«, sagte ich diesmal, als ich einer plötzlichen Eingebung zufolge instinktiv wusste, dass das hier die Stelle war. »Das ist es.«
    »Klar, ich hab gehört, dass sie hier irgendwo das Geheimnis des Lebens aufbewahren. Sie haben es also gefunden, ja?«
    »Das Lido Beach Inn«, sagte ich. »Das war hier.«
    »Verzeihung?«
    Ich drehte mich zu ihr um und fühlte mich alt. »Als ich klein war, haben wir ein paarmal in Florida Urlaub gemacht«, sagte ich. »Wir haben immer im Lido Beach gewohnt. Damals gab es hier noch nicht viele Häuser, und das hier war tatsächlich die preisgünstige Variante – auch wenn es damals eine aufregende Sache war. Dort hinten an der letzten Ecke, wo jetzt das Sun Palms ist, stand ein riesiges Hotel, doch in all den Jahren, in denen wir da waren, stand es leer. Und hier …«
    Ich zeigte auf die Reihe fertiger und halbfertiger Baukomplexe, die sich heute an dieser Stelle befanden. »Ich glaube, es gab schon damals ein paar kleinere Wohnanlagen, aber im Wesentlichen waren es alte Motels. Die sind jetzt alle verschwunden, und seit wir hier leben, habe ich jedes Mal, wenn ich auf dieser Straße entlanggekommen bin, versucht herauszufinden, wo das Lido Beach Inn war. Und jetzt endlich ist es mir klar – hier.«
    Ich zeigte mitten in eine exklusive Baumaßnahme, und plötzlich konnte ich es sogar fühlen, mich auf dem Planeten und in meinen Erinnerungen verorten: Genau an dieser Stelle hatte ein vergammeltes altes, U-förmiges Motel gestanden, an dem man unter einer Markise durchfuhr und nach rechts oder links abbog, um vor zwei parallelen Blocks mit Zimmern zu parken. Auf beiden Ebenen hatte es vielleicht je ein Dutzend Zimmer gegeben, dazwischen einen Swimmingpool – und einen Pfad zum Strand hinunter. Das Motel hatte eine Waschküche, einen Bereich für Tischtennis mit einem Tisch, dessen Netz nie straff gespannt war, und surrende Eis- und Getränkeautomaten. Kein Restaurant, keine Bar, kein Geschäft, keine Kinderbetreuung, kein Hausmeisterdienst. Nur ein Ort, an dem Familien Zeit verbringen konnten, während sie Sonne tankten – als die Sonne noch kein krebserzeugendes Gift war, das man unter allen Umständen meiden musste. Einen Moment lang erschien mir das alles greifbar real, als wären diese Familienferien erst ein, zwei Jahre her.
    Ich sah allerdings, dass der Komplex, dem das Lido Beach Inn gewichen war, selbst eine Spur Farbe und an einer Seite ein bisschen frischen Putz vertragen konnte. Schon die nächste Generation wurde allmählich alt. Außerdem musste ich wieder daran denken, wie ich mich erst vor zwei Tagen dazu hatte hinreißen lassen, Tony Thompson zu beschwatzen, The Breakers zu renovieren, und jetzt irgendwie nicht mehr genau wusste, wieso. Mir war klar, dass ich es früher oder später wieder tun würde, doch im Moment schien es mir viel weniger wichtig als die Tatsache, dass ein schlaksiger Junge mit meinem Namen und meiner DNA einmal über dieses Stück Bürgersteig gelaufen war, ohne zu ahnen, dass eine ältere Version von ihm zwanzig Jahre später dort betrunken entlangtorkeln, seine Frau vermissen und sich in dem Chaos, das über ihn hereingebrochen war, nicht zurechtfinden würde. Ich fragte mich, wie es möglich sein konnte, auf einem Fleckchen Erde zu stehen und nicht zu spüren, wie unser späteres Selbst vorbeistreift. Schließlich würden wir nicht zurückkommen, wenn wir nicht schon mal da gewesen wären – die beiden Ereignisse mussten also miteinander verbunden sein. Wie war es möglich, dass er meinen Schatten nicht hier stehen gesehen hatte? Hatte er tatsächlich nicht in die richtige Richtung geschaut? Oder nicht genau genug hingehört? Oder hatte er doch einen Blick erhascht, und ich war deshalb jetzt hier, um zu diesem Selbst zurückzufinden? Ich dachte daran, etwas in dieser Art laut zu fragen, kam aber zu dem Schluss, dass ich vermutlich auch so schon betrunken genug wirkte. Ich ließ die Hand wieder sinken.
    »Kommen Sie schon«, sagte Cassandra. Sie trat zu mir und hakte sich bei mir unter. »Ich glaube, Sie sollten ein Weilchen sitzen, großer Junge.«
     
    Wir mussten nur noch zehn Minuten weitergehen, bis nach

Weitere Kostenlose Bücher