Killerspiel
Steph in Gang bringen wollte. Ich wusste, dass es in mehrerlei Hinsicht nicht ratsam war, betrunken auf dem Circle gesehen zu werden, unter anderem auch deswegen, weil ich den Großteil meiner beruflichen Geschäfte hier tätigte.
Das alles war mir natürlich auch schon klar gewesen, als ich das letzte Bier bestellte. Ich wünschte mir, ich wäre einfach nach dem ersten Glas bei Krank’s nach Hause gegangen, hätte mich in den Sessel gesetzt und auf meine Frau gewartet. Ich wäre am rechten Ort gewesen und hätte das Recht auf meiner Seite gehabt: Hier bin ich, bereit, die Dinge zu klären – und wo zum Teufel hast du die ganze Zeit gesteckt, mein Schatz? So aber war ich am falschen Ort, betrunken und offenbar entschlossen, mich immer tiefer in die Sackgasse von Fehlentscheidungen zu begeben.
»Ist das eins von den Handys, die man nur anstarren muss, damit sie explodieren? Denn das wäre cool.«
Ich sah erschrocken auf.
Zuerst dachte ich, jemand an den umliegenden Tischen hätte das gesagt. Dann sah ich eine schlanke Gestalt, die drei Meter entfernt von mir im Schatten stand, wo die Lichter der Bar sie nicht erreichten.
»Wer ist da?«
Sie trat vor. Es war Cassandra. In einem Arm trug sie eine Einkaufstüte aus Papier.
»Oh«, sagte ich. »Tut mir leid. Ich war ganz weit weg.«
»Und ohne Straßenatlas, wie’s aussieht. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Sie setzte sich, die Tüte auf dem Schoß, artig wie ein Hündchen. »Also, was ist los, Mr. Moore?«
»Los?«
»Ich frag mich nur, wieso Sie mutterseelenallein hier sind. Und so auf Ihr Handy starren. Als wäre es wahrhaftig ein richtig böses kleines Handy.«
»Die Batterie ist fast leer«, sagte ich. »Und ich bin … es wäre einfach gut, wenn nicht gerade jetzt der Saft ausginge.«
»Soll ich es aufladen?«
»Können Sie das?«
»Was dachten Sie denn? Seh ich aus wie eine Amische?«
Ich sah sie durchdringend an und fragte mich, wie sie das draußen vor einer Bar bewerkstelligen wollte. Sie lachte.
»Sie müssten die paar Schritte zu meiner Wohnung mitkommen. Dort habe ich ein USB -Aufladekabel für Handys wie Ihres, nebst diversem anderen technischen Schnickschnack.«
»Ist es weit? Ich bin eigentlich mit dem Auto hier.«
»Hätte mich auch gewundert. Nehmen Sie das jetzt bitte nicht persönlich – aber ich denke, es wäre im Moment eine kluge taktische Entscheidung, sich etwas zu Fuß fortzubewegen. Jedenfalls, bevor Sie versuchen, eine riesige Blechkiste zurück aufs Festland zu steuern.«
Ich überlegte einen Moment. Sicher, verrückte Idee, aber sie hatte recht – ich war zu betrunken, um zu fahren, egal, wie langsam und bedächtig. Ein paar Schritte laufen, Handy aufladen, Auto holen, ab nach Hause. Könnte funktionieren.
»Das wäre toll«, sagte ich.
Ich ging ins Restaurant, fand meine Kellnerin, zahlte. Ich erhaschte einen Blick auf die andere Kellnerin, diejenige, die uns an unserem Hochzeitstag bedient hatte, am anderen Ende des Raums. Sie erkannte mich und nickte mir beiläufig zu. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich rübergehen und sie fragen sollte, ob sie meine Frau gesehen hätte –
Sie wissen schon, die Frau, mit der ich neulich oben auf dem Balkon zu Abend gegessen habe
–, doch das Restaurant war voll, und ich wusste, es würde betrunken und seltsam wirken, also tat ich es nicht. Ich vermutete, dass ich schon betrunken, beziehungsweise seltsam genug aussah, ohne mir extra Mühe zu geben.
Cassandra stand auf dem Bürgersteig neben einer Straßenlaterne. Sie erinnerte mich an den Buchdeckel eines Romans aus den Fünfzigern über die Unschuld vom Lande in der verruchten Stadt, nur dass der Circle kein bisschen großstädtisch wirkte und es damals noch keine Emo-Mädchen gab.
»Folgen Sie mir, Sire«, sagte sie.
Wir gingen auf der Straße zum Lido Key hinüber. Von da aus war es ein langer Weg immer geradeaus auf dem Ben Franklin Drive, am Parkplatz zum Strand und den düster aufragenden Rohbauten der Wohnanlagen vorbei. Lido ist klein, beschaulich, mit einem halbmondförmigen weißen Sandstrand ungefähr eine halbe Meile lang. Am hinteren Ende wird der Key schlagartig wilder, mit endlosen niedrigen Wäldern und Gebüsch sowie morastigem Gelände von großen, natürlichen – und daher von Insekten wimmelnden und unattraktiven – Seen. Eines Tages würde zweifellos der ganze Key von Kaufangeboten für Gesellschaftereigentum nur so wimmeln, doch vorerst sah der südliche Teil nicht viel anders aus
Weitere Kostenlose Bücher