Killerspiel
unten zum anderen Ende des Wegs. Kurz bevor die Straße sich zu einer Spur verengte, um sich schließlich zwischen den Palmen und Büschen des unbebauten Teils der Insel zu verlieren, kamen wir an ein altes, verfallenes Apartmenthaus, das auf der meerabgewandten Seite stand, ein wenig von der Straße zurückgesetzt.
Cassandra führte mich durch das schmiedeeiserne Tor. Das Gebäude war drei Stockwerke hoch und hufeisenförmig angelegt, mit einem leeren Springbrunnen in der Mitte. Es bestand ganz aus geraden Linien und Halbkreisen und sah aus, als wäre es in den dreißiger Jahren einmal ein richtiger Hingucker gewesen. Jetzt wucherten riesige Gräser rings um den Innenhof, so dass er von der Straße aus kaum zu sehen war. Brocken von ehemals weißem Putz waren abgefallen, und darunter kam eine rosa Schicht zum Vorschein. Ich hatte dieses Gebäude schon mehrfach vage registriert und angenommen, dass es baufällig war und nur auf die Abrissbirne eines der hiesigen Baulöwen wartete. Das meiste aus dieser Ära war bereits verschwunden, einschließlich des alten Art-déco-Casinos, an das sich ältere Bewohner mit Stolz erinnerten.
»Sie wohnen
hier?
«
»Vorerst. Es steht fast vollständig leer, das ist cool. Schön ruhig. Und es hat irgendwie Atmosphäre.«
»Es ist wie ein verlassenes Schiff, so kommt es mir zumindest vor.«
»Das fern der Heimat auf den Wellen treibt.«
Sie führte mich am Ende des rechten Flügels eine Wendeltreppe hoch. Als wir auf dem obersten Stock ankamen, stolperte ich über einen Brocken Gips, der von der Wand gefallen war.
»Tut mir leid«, sagte sie, während sie ihre Schlüssel zückte. »Das Dienstmädchen war länger nicht mehr da.«
»Vielleicht haben die Ratten sie gefressen.«
»Die einzigen Nager, die in größeren Meuten über die Gegend hier herfallen, sind die Bauunternehmer – die nur darauf warten, wieder was Schönes abzureißen und durch etwas Billiges, Profitables zu ersetzen.«
»Der Punkt geht an Sie.«
Ich fühlte mich unwohl und folgte ihr den schmalen überdachten Gang entlang bis zu einer Tür etwa in der Mitte des Flügels. Ich blickte in den verwilderten Innenhof hinunter, während sie hintereinander die drei Schlösser zur Wohnung 34 öffnete.
»Herzlich willkommen«, sagte sie, als das letzte mit einem dumpfen Geräusch aufsprang.
Ein kurzer Flur dahinter führte in ein Wohnzimmer. Cassandra knipste einen Schalter an, und drei kleine Lampen leuchteten die Ecken mit gelb-orangefarbenem Licht aus. Auf der rechten Seite des Raums befanden sich zwei Türen, am Ende eine dritte aus Milchglas. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Bett, auf dem Kissen aufgestapelt waren. Es gab einen Schreibtisch aus Betonsteinen und einer alten Tür, ein paar Regale aus Backsteinen und kurzen Brettern. Die Wände waren in einer dunklen Farbe gestrichen. Ich blickte auf eine Menge Bücher und Zeitschriften rund um den Computer, diverse Hardware-Teile und überhaupt eine Menge Zeug, doch alles machte den Eindruck, genau da zu sein, wo es hingehörte.
»Sie sind … ordentlich.«
Sie stellte die Tüte mit den Einkäufen auf den Tisch, und einen Moment machte es sie offenbar verlegen, einen Fremden bei sich zu Hause zu haben. So selbstsicher sie war, hatte sie wahrscheinlich vor nicht allzu langer Zeit noch bei ihren Eltern gewohnt. Sie sah sich um. »Ja, denke schon. Krieg ich dafür einen Preis?«
»Ist nur so, dass Frauen durchaus nicht immer ordentlich sind. Hab ich mal gedacht, aber wenn man erst mit ein paar zusammengelebt hat, stellt man fest, dass dem durchaus nicht so ist.«
»Nun denn, Bill – ich darf Sie doch so nennen –, freut mich, dass ich Ihren Retro-Glauben an meine Spezies wiederhergestellt habe.«
Ich merkte, wie ich rot anlief. »Ich wollte damit nicht sagen, dass Frauen die ganze Zeit aufräumen sollten.«
»Nein, natürlich nicht. Wo würden wir dann die Zeit zum Kochen und Nähen hernehmen?«
Ich beschloss, die Klappe zu halten, und ging ins Bad. Es war winzig, aber ebenfalls ordentlich und roch nach der Seife anderer Leute. Im Vergleich zu Stephanies Kosmetik und Toilettenartikeln in unserem Badezimmer fiel mir auf, dass hier sehr wenig typisch weibliche Utensilien waren, und mir wurde klar, dass Cassandra wahrscheinlich einfach nicht das Geld dafür hatte. Ich war schon lange nicht mehr in der Gesellschaft einer Frau gewesen, der das Geld für solche Dinge fehlte. Ich spritzte mir eine Menge Wasser ins Gesicht, so dass sich mein Kopf
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