Killerspiel
Ahnung, ob das die Stelle war, die ich jetzt vor Augen hatte. Im Flimmern der Sonne zwischen den Bäumen war die Stelle vorbei, und unsere Fahrt führte uns wieder durch den Wald.
Dreißig Sekunden später wurde der Pick-up plötzlich langsamer. Auf der Straße vor uns kam ein Stück getrockneter Schlamm, wo sich alte Reifen sowie eine uralte, braun verfleckte, mit rostigen Metallgegenständen übersäte Matratze häuslich eingerichtet hatten. Die Frau fuhr hier rechts ran und drehte sich ruckartig nach hinten um. Sie starrte den Weg entlang, auf dem wir gekommen waren.
Ich öffnete die Beifahrertür und erbrach mich.
Ich war froh über den gallebitteren Geruch. Für einen Moment verankerte er mich im Hier und Jetzt, auch wenn das, was aus meinem Mund quoll, die Farbe vom Rotwein hatte, den Cass und ich zusammen getrunken hatten.
Es war kaum alles aus mir heraus, als ich am Hemdkragen auf meinen Sitz zurückgezogen wurde, bevor derselbe Frauenarm an mir vorbeigriff, um die Tür zuzuziehen.
»Fertig?«
Schon waren wir wieder in Bewegung, holperten auf den Weg zurück und folgten ihm weiter in den wilden Teil der Insel hinunter, wo wir meilenweit nichts als Gestrüpp, Wald und Moos sowie gelegentlich zwischen den Bäumen aufblitzende, stehende Gewässer vor Augen hatten. Sie fuhr immer noch schnell, doch nicht mehr ganz so gehetzt wie bisher.
Im Flackern der frühen Morgensonne fühlte ich mich elend und kaputt und schloss die Augen. Ich stellte fest, dass es in meinem Kopf nicht schlimmer aussah als mit geöffneten Augen.
Deshalb verharrte ich eine Weile so.
27
E s war einer dieser Träume, aus denen man erwacht, nur um festzustellen, dass man sich in der Realität am selben Ort wiederfindet wie im Schlaf. Warner hatte solche Träume immer gehasst. Es war, als würden sie ihm sagen, dass es keine Atempause, keinen Ausweg gab.
Er hatte schon oft versucht, seiner Codierung zu entkommen – mit Alkohol und Drogen, die eine Weile funktionieren, bis man merkt, dass sie einen reingelegt haben. Auch die Geschäfte waren eine Art Flucht gewesen, die ihn wenigstens reich gemacht hatte. Den führenden Angestellten, den Boss, den Computerspiele-Visionär zu spielen – jede dieser Rollen, in die er morgens, wenn er das Haus verließ, schlüpfte, war ihm leichter gefallen als das reale Leben. Und Frauen – die endlose Vielfalt ihres Aussehens, ihres Dufts, ihrer Haut … auch in sie konnte man sich hineinflüchten.
Es gab diejenigen, die unbeschadet daraus hervorgingen, und diejenigen … bei denen es anders lief. Schließlich gab es unterschiedliche Frauen. Es war ihm gelungen, sie im Kopf säuberlich getrennt in zwei Gehegen zu halten. Normalerweise jedenfalls. Doch schon vor langer Zeit hatte er akzeptiert, dass es tatsächlich kein Entkommen gab … und was blieb einem in diesem Fall anderes übrig, als sein Blatt auszuspielen?
In seinem Traum hatte er, mit dem Kopf im Schatten, den Beinen in der Morgensonne, am Strand gelegen. Der Himmel, den er hinter seinen Füßen sehen konnte, war konturlos blau, und unweit war das Rauschen von Wellen zu hören, die ans Ufer rollten und dann zwischen zerbrochenen Muscheln wieder zurückrieselten. Ein räudiger schwarzer Hund trottete heran, wendete den Kopf, um Warner gleichgültig anzusehen, und lief dann weiter seines Weges.
Zuerst war das alles, und es war ein erholsamer Traum, doch dann wurde ihm klar, dass es sich gar nicht um einen Traum, sondern eine Erinnerung handelte. Er kannte diesen Strand. Er befand sich am Küstenstreifen Baja bei Ensenada, den er am Ende eines zweiwöchigen Roadtrips quer durch Louisiana und den größeren Teil von Texas und schließlich durchs finstere Mexiko erreichte. Das war viele, viele Jahre her. Eine Fahrt mit einer Freundin, eine Expedition, mit der sie sich beweisen wollten, wie erwachsen und unabhängig sie doch waren, und die schließlich düster endete.
Ach ja, diese Fahrt.
Ihm wurde auch bewusst, dass er sich in der Erinnerung nicht gut fühlte. Seine Fäuste schmerzten. Schuld lastete auf ihm und die schwindelerregende Frage: »Was ist danach passiert?« Vor allem aber war da das unabweisliche, ständig an ihm nagende Wissen, dass er etwas getan hatte, das er nicht hätte tun sollen, andererseits die ebenso klare Gewissheit, dass in diesem Vorfall nur eskaliert war, was sich unausweichlich in ihm aufgestaut hatte.
Bei manchen Menschen verflüchtigt sich die Wut. Sie sprudelt aus der Quelle und fließt dann über Bäche
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