Killerspiele: Palinskis fünfter Fall (German Edition)
katholische und immer auf die Wahrung der Form bedachte Herr Konsul erwies sich nach seinem unvermuteten Abgang plötzlich als schwuler Begrapscher seiner Haushälterin, der einer pummeligen und zu stark geschminkten Zürcherin angeblich ein Kind angedreht hatte. Welche Abgründe würden sich im weiteren Verlauf des Falles noch auftun?
»Natürlich hat das Ungeborene bereits Rechte. Hat Webernitz übrigens gewusst, dass er Vater wird?« Nicht, dass das etwas ändern würde, aber es interessierte Wiegele.
»Nein«, räumte die Leckmarein ein, »ich wollte ihn sozusagen als Verlobungsgeschenk damit überraschen.«
»Am besten, Sie sprechen mit Rechtsanwalt Dr. Bittner darüber, wie Sie die Rechte Ihres Kindes sichern können«, empfahl er der werdenden Mama.
Nachdem Wiegele die Angaben der Frau zu Protokoll genommen hatte, verabschiedete er sie und machte sich auf den Weg nach Freiburg. Er wollte unbedingt noch nach seinem Kollegen Vondermatten sehen, ehe er sich am späteren Abend mit der Dame aus dem ›Chez Nous‹ in Schaffhausen befasste.
8
Montag, 28. Oktober, nach 18 Uhr
Palinski hatte Mühe gehabt, sich der penetranten Anbiederungen Brittas aus Bremen zu entziehen, ohne allzu grob werden zu müssen. Allerdings hatte er sich etwas verspätet und war erst kurz nach 18 Uhr im ehrwürdigen ›San Domenico Palace‹ erschienen. Bereits am Eingang wurde er von zwei Leibwächtern Don Vitos in Empfang genommen und dezent nach Waffen abgeklopft.
Nachdem er den ersten Schock über diese Zumutung verdaut hatte, musste er lächeln. Er und eine Waffe, was für eine Vorstellung. Dann begleiteten ihn die beiden Männer durch den vorderen Teil des wunderschönen, parkähnlichen Gartens zu einer weiter hinten gelegenen kleinen Terrasse. Schon von weitem konnte Palinski die noch immer imponierende Gestalt des inzwischen schon deutlich über 70 Jahre alten Patriarchen erkennen. Oder war für Don Vito die Bezeichnung ›Pate‹ zutreffender?
»Als Junge ist er gegangen, als Mann kommt er wieder.« Don Vito war aufgestanden, um den Besucher aus Wien zu begrüßen. Dabei zitierte der kunstsinnige, hoch gebildete Mann die Worte irgendeines weniger bekannten Dichters seiner engeren Heimat.
»Ich erinnere mich noch gut, wie Sie vor 19 Jahren vor mir gestanden sind, Mario.« Er streckte Palinski seine Pranke entgegen. »Lang, schlaksig, ein beliebter ›capogruppo‹ bei seinen Schäfchen und der Schwarm der Mädchen. Und jetzt ein gestandener Mann mit einem guten Gesicht, in dem das Leben bereits seine Spuren hinterlassen hat. Dazu mehrere Kilogramm Übergewicht, wie wir alle.« Er klopfte sich zufrieden auf die mächtige Wampe. »Ein anderer und auch wieder derselbe. Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Er deutete auf einen bequemen Stuhl.
»Leider kann ich nicht so schön formulieren wie Sie«, entgegnete Palinski, »darum sage ich ganz einfach herzlichen Dank für Ihre Einladung.« Er setzte sich und blickte auf das wunderbare Panorama, das sich vor ihnen auftat. Unter ihnen die Küstenlinie, das herrliche Meer und im Hintergrund der majestätische Ätna.
»Immer, wenn ich mir etwas Gutes antun möchte«, gestand er dem Don, »dann setze ich mich hin, schließe die Augen und sehe dieses Bild vor mir. Ist es nicht immer wieder zum Niederknien?«
»Da würden meine Knie nicht mehr mitmachen«, schmunzelte der Alte. »Abgesehen davon, geht es mir auch so. Aber jetzt genug der Freundlichkeiten und Liebeserklärungen. Befassen wir uns mit den Gründen, die uns hier zusammengeführt haben.«
Palinski hatte schon die ganze Zeit überlegt, was ihm an diesem Don Vito neu vorkam. Im Vergleich zu dem Don, den er vor fast 20 Jahren kennengelernt hatte. Abgesehen von den altersbedingten Veränderungen natürlich. Mit einem Mal wusste er es. Bei ihrem ersten Treffen hatte Enricos Großvater ausschließlich Italienisch gesprochen, noch dazu mit einem fast unverständlichen sizilianischen Einschlag. Heute sprach der große Mann überraschenderweise ein perfektes, fast akzentfreies Deutsch.
»Gestatten Sie mir vorweg noch eine Frage?«, warf Palinski ein. »Wie kommt es, dass Sie derart hervorragend meine Sprache sprechen?«
»Ich habe als junger Mann 12 Jahre in Deutschland gearbeitet«, erklärte Don Vito, »in den verschiedensten Jobs. Und daneben habe ich in München Betriebswirtschaft studiert und auch abgeschlossen.« Er grinste verschmitzt. »Sie haben es also nicht mit einem unkultivierten sizilianischen Bauern zu tun, sondern
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