Killervirus - Gerber, R: Killervirus - Heartstopper
ich wie eine Löwin, wie Sie ja selbst wohl am besten wissen.« Sie lächelte ihn traurig an.
»Haben Sie denn noch mit Martin sprechen können, bevor der Mörder kam?«
»Nein. Der Mann hatte ihn wohl schon vorher in seiner Gewalt. Als ich an der Tür klingelte, hat er mich hereingezogen, mit einem Messer bedroht und an den Sessel gefesselt, in dem Sie mich dann gefunden haben.«
»Wie hat er ausgesehen, dieser Mann?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Er hatte sich einen Nylonstrumpf über das Gesicht gezogen, deshalb dachte ich am Anfang auch, es wäre ein Einbrecher, der es auf Martins Geld abgesehen hatte. Ich weiß nur, dass er so eine stinknormale gelbe Regenjacke trug, wie man sie überall sieht. Ganz genau erinnere ich mich eigentlich nur noch an seine Stimme.«
Ich auch, dachte Ben. Diese Stimme würde er nie mehr vergessen.
»Konnten Sie hören, was er zu Martin gesagt hat?«
Angie blickte nach draußen, wo die dicht bewaldeten
Gipfel der Shenandoah Mountains wie ein sanft gewelltes, dunkelgrünes Meer unter dem Flugzeug dahinglitten. Sie sagte Jack, er solle ein wenig höher fliegen und wandte sich dann wieder an Ben. »Ja, das konnte ich«, sagte sie. »Alles habe ich nicht verstanden, aber das, was ich mitbekommen habe, war schon schlimm genug.«
»Worüber hat er gesprochen?«
»Zuerst hat er Martin ständig die gleichen Fragen gestellt. Immer wieder wollte er wissen, ob die FDA etwas mit Pembroke zu tun hätte, aber Martin hat immer nur geantwortet, dass er nicht wüsste, wovon der Mann überhaupt redete. Das hat ihn wütend gemacht, und er muss Martin starke Schmerzen zugefügt haben, denn ich habe ihn immer wieder schreien gehört. Es war einfach grauenvoll. Entweder hat Martin wirklich nichts gewusst oder er war unglaublich tapfer.«
Sie weiß nicht, wie tapfer er wirklich war, dachte Ben bei sich. Er hatte selbst in die eiskalten Augen des Samariters geblickt und konnte erahnen, zu welcher Grausamkeit dieser Mann fähig war. Der knorrige Texaner musste Höllenqualen durchlitten haben.
»Irgendwann hat Martin dann überhaupt nichts mehr gesagt, und der Mann hat angefangen, ihm lange Vorträge zu halten. Er hat etwas von einer bis ins Mark verdorbenen Wissenschaft gesagt, die mit ihrem verfluchten Treiben Gottes Schöpfung zugrunde richtet. Dass alle Wissenschaftler Ungeziefer sind, das ausgerottet gehört und dass die Strafe Gottes diejenigen ereilen wird, die es wagen, sich seine Allmacht anzumaßen. Und dann hat er angefangen, über die justinianische Pest zu schwadronieren.«
»Die justinianische Pest?«, fragte Ben erstaunt. Er hatte
während seines Studiums einmal eine größere Arbeit über die verheerendste Seuche der Spätantike verfasst, die nicht unerheblich zum Niedergang des oströmischen Reiches beigetragen hatte. Die Seuche war im sechsten Jahrhundert in der Hauptstadt Konstantinopel ausgebrochen und hatte sich wie ein Flächenbrand im ganzen Mittelmeerraum ausgebreitet, wo ihr fünfundzwanzig Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren. Das war die Hälfte der damals dort lebenden Bevölkerung. Dieser erste Siegeszug des Schwarzen Todes war von Ratten ausgelöst worden, die wohl mit Getreidelieferungen aus Ägypten eingeschleppt worden waren, aber manche Forscher vertraten auch die Auffassung, dass jemand diese Ratten absichtlich in den Kornspeichern Konstantinopels freigelassen hatte, um so den Niedergang des dekadenten oströmischen Reiches zu beschleunigen. War es möglich, dass der Samariter heute etwas Ähnliches vorhatte? Dass er sich an historischen Vorbildern wie diesem orientierte und sich als Hüter einer langen Tradition von Fanatikern sah, die immer wieder versucht hatten, die Menschheit durch massenhafte Morde an Andersdenkenden auf einen vermeintlich besseren Weg zu bringen? Religiöse Eiferer jeglicher Couleur hatten zu allen Zeiten dem Irrglauben angehangen, sie müssten nur die in ihren Augen Schlechten und Ungläubigen radikal ausrotten, dann wäre die Welt wieder das Paradies, als das ihr Gott sie einst erschaffen hatte.
Während draußen der Propeller dröhnte und das Wasserflugzeug unbeirrt seinen Kurs über die unberührten Shenandoah Mountains fortsetzte, begannen sich in Bens Kopf die ersten Stücke eines großen Puzzlespiels zusammenzufügen. Er dachte an den Ausbruch des Virus in Pembroke und
was es mit der justinianischen Pest und den lebendigen Ratten zu tun haben könnte, die der Samariter seinen Opfern in den Mund genäht hatte. Ratten waren
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