Killing God
ihr.«
»Der Fernseher?«
»Ja, hübsches Teil … das hat sie gesagt. Hübsches Teil.«
»Klar …« Ich bin einen Augenblick still, betrachte abwesend eine weitere Verfolgungsjagd auf dem Bildschirm (diesmal aus einem dahinjagenden Polizeiwagen gefilmt), dann dreh ich mich wieder zu Mum um und hak noch mal nach: »Aber sie hat dich nichts über Dad gefragt, oder?«
Mum erstarrt. »Was ist mit ihm?«
»Nichts … nur weil Taylor echt neugierig war, das ist alles. Hat lauter Fragen über Dad gestellt und so. Ich wollt bloß sicher sein, dass sie dich nicht belästigt hat.«
Ein bisschen mühsam setzt sich Mum gerade und sieht mich an. »Was denn für Fragen?«
Ich zuck mit den Schultern. »Fragen eben, du weißt schon … was er macht zum Beispiel, so was in der Art.«
»Was er macht?«
»Kein Grund zur Aufregung, Mum … ist einfach was, wasLeute eben so fragen. Du kennst das doch – mein Dad arbeitet bei dem-und-dem und wo arbeitet
dein
Dad?«
Mum runzelt die Stirn. »Wer ist denn dem-und-dem?«
»Niemand. Das ist … ich versuch dir nur zu erklären, was ich meine.« Und ich leg meine Hand auf ihre Schulter und lächel sie an. »Alles in Ordnung, Mum. Ehrlich … spielt keine Rolle. Vergiss es ganz einfach.«
Sie blinzelt mich an, müht sich, mich im Blick zu behalten, und versucht zu lächeln, aber sie ist zu betrunken, zu weit weg, zu verwirrt und traurig. Ich beug mich zu ihr runter und küss sie auf den Kopf. Ihre Haare riechen nach Kirschen und Rauch.
»Komm schon«, sag ich. »Lass uns ins Bett gehen.«
inside me (3)
Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Zwei Jahre sind überhaupt keine Zeit. Zeit genug für den Käfig in deinem Kopf, so klein zu werden, dass sich der Atem in deinem Hals wie ein Stein anfühlt, aber nicht annähernd genug Zeit, um zu vergessen, wer du bist.
(i’ve seen my time away)
Das letzte Mal, dass ich meinen Dad gesehen hab, war an einem schneeigen Dezembermorgen vor etwas mehr als zwei Jahren.
(it’s living inside me)
Ich bin im Wohnzimmer und pack ein Weihnachtsgeschenk für Mum ein. Jesus und Mary sitzen neben mir auf dem Fußboden, den Blick fest auf die Schachtel in meiner Hand gerichtet. In der Schachtel ist so ein Kuh-in-der-Dose-Teil. Du weißt schon, sieht aus wie eine kleine runde Dose mit durchlöchertemDeckel. Und wenn du sie umdrehst, macht sie Muh. Was Jesus und Mary faszinierend finden, und faszinierend bedeutet für sie, dass sie drauf rumbeißen wollen. Deshalb versuch ich die Kuh-in-der-Dose einzupacken, ohne sie umzudrehen, damit die beiden sie ja nicht muhen hören.
Mum ist irgendwohin einkaufen.
Und ich hör Dad die Treppe runterkommen –
hust, hust, schlurf, schlurf, hust, hust
– und jetzt spür ich, wie ich zerfalle. Auf einmal sind zwei von mir da. Ich und ich. Zwei Ichs. Und während
mein
Herz schneller schlägt und
meine
Kehle enger wird und
meine
Hände vor Angst anfangen zu zittern, spür ich, wie sich mein anderes Ich in die Sicherheit seiner Höhle verkriecht.
Ich heiß Dawn.
Mein Bauch tut weh.
Ich heiß Dawn.
Ich kann mich nicht rühren.
Ich kann nur dasitzen und auf das Geräusch der Schritte hören, mit denen mein verkaterter Dad die Treppe runterkommt … in mir das Geräusch seiner schwankenden Füße spüren, seine zitternde Hand, die sich am Geländer festhält, seine blutunterlaufenen Augen, sein unrasiertes Gesicht, seinen säuerlichen Atem, seine Hoffnungslosigkeit …
Seine schreckliche Scham.
Er wird nie wieder mit mir reden.
Er wird nicht reinkommen, mich anlächeln und fragen, was ich da mache. Seine Augen werden nicht aufleuchten, wenn ich ihm die Kuh-in-der-Dose zeige. Er wird nicht Jesus in der einen Hand und Mary in der andern hochheben, ansein Gesicht halten und ihnen einen Lippenfurz entgegenprusten. Er wird mir nicht mal Tschüss zurufen.
Er wird überhaupt nichts.
Nie mehr.
»Dad!«, ruf ich und versuch auf die Beine zu kommen. »Dad!«
Aber vom zu langen Sitzen auf dem Fußboden sind mir die Beine eingeschlafen und ich brauch eine Weile, um hochzukommen, ohne wieder umzufallen, und bis ich das Zimmer durchquert, die Tür geöffnet hab und raus auf den Flur bin, ist Dad schon halb aus der Haustür.
»Dad!«, schrei ich wieder.
Und für einen kurzen Moment bleibt er stehen.
Einen halben Moment.
Und in diesem Bruchteil eines Moments seh ich (für immer) eine gekrümmte und ungewaschene Gestalt in einem zerlumpten alten Dufflecoat. Ich seh einen hageren Kopf, versteckt in den Falten einer
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