Killing time
ihr die Frage war. »Ich helfe Ihnen morgen früh beim Frühstückmachen, bevor wir ins Büro fahren. Es wird schneller sieben Uhr sein, als wir denken.«
Wahrscheinlich wollte er ihr damit höflich andeuten, dass er nun seine Ruhe wünschte. Sie konnten beide eine kurze Auszeit gebrauchen, um sich auszuruhen und neue Kräfte zu sammeln, ehe sie wieder an die Arbeit gingen und sich der entsetzlichen Tatsache stellten, dass noch eine Frau in Adams County entführt worden war.
Bernie schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. Aber ihr Verstand wollte partout nicht abschalten und gönnte ihr keine Ruhe. Alle möglichen Dinge gingen ihr durch den Kopf, angefangen von Gedanken darüber, wer Thomasina Hardy entführt haben könnte, bis hin zu solchen daran, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, hätte Ryan sie nie betrogen und sie eines ihrer Babys austragen können.
Hör auf zu denken, verdammt, befahl sie sich selbst.
Sie summte im Geist eine sich ständig wiederholende Melodie vor sich hin, die schon bald von ihren Gedanken übertönt wurde. Dann versuchte sie es mit Zählen. Auch das funktionierte nicht. Zählen half nie, und trotzdem probierte sie es immer wieder. Schließlich gab sie es auf, ihre Grübelei abstellen zu wollen, und ließ ihren Gedanken freien Lauf, da sie sie ja ohnehin nicht aufhalten konnte.
Sie fragte sich, wie Jims Ehe wohl gewesen war und ob er noch etwas für seine Exfrau empfand. Mary Lee war sicher eine umwerfend gutaussehende Frau, vermutlich derselbe Typ wie Robyn. Männer wie Jim flogen gewöhnlich auf Frauen, die sich besonders verführerisch gaben. Quatsch, wem machte sie hier etwas vor? Alle Männer flogen auf sexy Frauen. Warum hatte dann ein Typ wie Ryan eine Frau wie sie geheiratet, die auf der Highschool eine Spitzenathletin gewesen war?
Er hat dich geheiratet, weil du den Boden unter seinen Füßen angebetet hast. Ihm gefiel es, seine eigene kleine Sklavin zu haben. Und Bernie hatte Ryans Wünschen nachgegeben, wie sie es sonst bei keinem je getan hatte, nicht einmal bei ihrem Dad. Als Teenager und noch bis in die frühen Zwanziger war Bernie reichlich unsicher gewesen, und erst nach der Scheidung hatte sie gelernt, sich selbst anzunehmen. Na ja, jedenfalls soweit es jemandem, der allen gefallen will, überhaupt möglich ist, einen eigenen Weg zu wählen.
Hatte Jims Exfrau ihn angebetet, versucht, ihm zu gefallen, und ihn über alles geliebt? Hatte er Mary Lee das Herz gebrochen? Oder war es andersherum gewesen? Bernies Gefühl sagte ihr, dass Jim derjenige gewesen war, dem das Herz gebrochen wurde, und dass er vielleicht immer noch Gefühle für seine Exfrau hatte. Für Mary Lee, die wieder geheiratet hatte und die nun den Kampf gegen den Brustkrebs durchstehen musste.
Hör auf, an Jim Norton zu denken. Er interessiert sich nicht für dich.
Sie sollte sich auf etwas anderes konzentrieren. Was könnte sie tun, um Thomasina Hardy zu finden, bevor sie zu einem weiteren Mordopfer wurde? Sie tat doch schon alles, was getan werden konnte, oder nicht? Ihr Chief Deputy war ein Detective der Spitzenklasse, wie er bereits bei der Polizei in Memphis bewiesen hatte. Und Charlie Patterson war ein erfahrener FBI -Agent. Es war ja nicht so, dass sie ganz allein dastand, also warum verspürte sie das überwältigende Verlangen, ihren Vater anzurufen und ihn um Hilfe zu bitten?
Dein mangelndes Selbstvertrauen kommt durch, Bernadette, schimpfte sie sich aus.
Ein Gedanke jagte den anderen, und sie alle konfrontierten sie mit Fragen, die sie nicht beantworten konnte, und stellten sie vor Probleme, die sie nicht lösen konnte. Allen gemein war, dass sie sie zwangen, ihnen nachzugehen statt zu schlafen – bis ihre Erschöpfung schließlich groß genug war, und sie für ein paar Minuten einschlief.
Als sie eine Viertelstunde später wieder aufwachte, war alles still im Haus. Außer dem Ticken der Uhr auf dem Kaminsims und dem ruhigen, regelmäßigen Atem Jims war nichts zu hören. Bernie setzte sich auf, schwang die Beine von der Couch und streckte sich. Plötzlich war ihr kalt, und sie fragte sich, ob es Jim vielleicht auch zu kühl war, da er ja nur ein kurzärmliges Hemd trug. Sie nahm die cremefarbene Wolldecke von der Sofalehne, stand auf und ging zu Jim. Ein paar Sekunden stand sie neben dem Liegesessel und beobachtete Jim im Schlaf. Sie mochte sein Aussehen, die Art, wie er sprach und wie er sich bewegte. Er gefiel ihr überhaupt in vielerlei Hinsicht,
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