Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Flasche mit Rio Club, die auf dem Boden stand, und fischte sich eine neue Lucky Strike heraus.
»Vom Leben«, sagte er. »The real thing. Vom Existenziellen.«
»Jaha«, sagte ich.
Er zündete sich die Zigarette an, und eine Weile saßen wir da, ohne etwas zu sagen.
Henry nahm ein paar tiefe Züge, während seine Schulterblätter wie festgegossen am Stuhlrücken lehnten. Er starrte an die Decke, wo sich der Rauch ins Nichts auflöste.
»Prima«, sagte ich schließlich. »Ich finde es toll, dass du ein Buch schreibst, ich glaube, es wird saugut.«
Henry schien es gar nicht zu interessieren, was ich sagte.
»Und was noch?«, fragte ich.
»Wieso?«, fragte Henry zurück.
»Du hast gesagt, es sind ein paar Dinge. Und das mit dem Buch ist doch wohl erst eins, oder?«
»Du kannst verdammt gut rechnen, Brüderchen«, sagte Henry. »Bist ein richtiger Taschenrechner.«
»Jedenfalls kann ich noch bis zwei zählen«, sagte ich.
Henry lachte. Er hatte so ein kurzes Lachen, das irgendwie scharf klang. Ich fand, es klang gut, und ich hatte versucht, es mir auch zuzulegen, aber ich war nicht besonders erfolgreich gewesen. Ein bestimmtes Lachen war nicht so einfach zu erlernen, das hatte ich dabei begriffen.
»Ja, es geht dabei um Emmy«, sagte Henry und stieß einen Rauchkringel aus, der wie ein dicker Sputnik durchs Zimmer glitt.
»Klasse«, sagte ich, als er an die Wand stieß und sich dort auflöste. »Was ist mit Emmy?«
»Sie wird nicht kommen«, sagte Henry.
»Was?«, fragte ich.
»Sie kommt nicht nach Genezareth.«
»Und warum nicht?«
»Ich habe sie gestrichen«, erklärte Henry.
Ich war mir nicht ganz sicher, was das bedeutete. Ob das hieß, dass er sie umgebracht hatte und mit einem Zementklumpen an den Füßen in irgendeinen Kanal geschmissen hatte, aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Vera Lane war in Darkin III nahe daran gewesen, so behandelt zu werden, aber ich hatte Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass Henry so etwas tun würde.
»Aha«, sagte ich ganz neutral.
»Das heißt, dass nur noch du, ich und dein Kumpel übrig sind. Wie heißt er eigentlich?«
»Edmund«, sagte ich.
»Edmund?«, wiederholte Henry. »Blöder Name.«
»Er ist aber in Ordnung«, erklärte ich.
»Ja, sicher«, sagte Henry. »Man kann die Leute ja nicht nach ihren Namen beurteilen. Ich war mal mit einer Braut zusammen, die hieß Frida Arschel. In Amsterdam. Und die war gar nicht übel.«
Ich nickte und saß still eine Weile da, dachte an all die Bräute
mit komischen Namen, die ich gehabt hatte. Und an all die Bräute, die ich gestrichen hatte. »Aber Vater und Mutter halten wir dabei raus, nicht wahr?«, sagte Henry. »Wie meinst du das?«
»Wir erzählen nicht, dass Emmy nicht mitkommt. Sonst machen sie sich nur Sorgen, dass wir das mit dem Essen und so nicht hinkriegen«, erklärte Henry, mein Bruder. »Aber das schaffen wir schon. Drei Kerle in der Blüte ihres Lebens.«
»Na klar«, sagte ich. »No problem. Ich bin der Tarzan der Pfannkuchen.«
Da lachte Henry wieder sein scharfes Lachen. Es klang gut. Wenn ich heute darüber nachdenke, fühlte es sich so an, als
würde man am Rücken gekrault, wenn mein Bruder lachte.
***
An einem Tag in der letzten Woche machten wir noch einen Schulausflug zum Brumberga-Tierpark. Ich war die ganze Zeit mit Edmund, Benny und Arsch-Enok zusammen, und auch wenn wir bei der Rallye von einer Mädchengruppe um nur einen bescheuerten Punkt geschlagen wurden und uns somit ein Riesenbecher Eis entging, hatten wir einen recht anregenden Nachmittag. Arsch-Enok hatte gerade Geburtstag gehabt und einen ganzen Fünfziger von seinem geistesschwachen Onkel einkassiert, deshalb waren wir gut bei Kasse. Und Arsch-Enok gehörte nicht zu den Geizigen; er verdrückte vierundfünfzig Dixibonbons und musste auf der Rückfahrt auf einem der Kotzplätze sitzen. Ich selbst aß sechsunddreißig Revalbonbons, und mir ging es ausgezeichnet.
In der darauf folgenden Nacht hatte ich einen Traum. Ich war wieder im Zoo, und die ganze Klasse stand vor einem großen grünen Aquarium mit Delfinen, Rochen und Robben. Ich glaube, sogar Haie waren dabei. Wir alle standen still da und hörten zu, denn es war Ewa Kaludis, die uns etwas erzählte. Hinter ihrem Rücken glitten die großen, spulenförmigen Tiere auf ihrer ewigen Wanderung in dem grünen Wasser vorbei.
Plötzlich hörte ich Benny fluchen. Er streckte seinen schmutzigen Zeigefinger aus, und ich konnte sofort sehen, was er entdeckt
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