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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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schlucken, es gelang mich nicht recht, und ich überlegte kurz, ob Edmund mich vielleicht mit seiner Mandelentzündung angesteckt haben könnte. Berra stand breitbeinig drei Meter von mir entfernt, ungefähr in der gleichen Pose wie im Lackapark. Er trug ein kurzärmliges weißes Hemd, und seine braun gebrannten, behaarten Arme strotzten vor Muskeln und Sehnen. Sein grob gezeichnetes Gesicht war unergründlich. Er hatte eine Augenbraue um ein paar Zentimeter hochgezogen und sah mich an, als wäre ich etwas, das man im Rinnstein zertritt.
    »Hallo«, sagte ich.
    Er antwortete nicht. Die eine Augenbraue blieb weiterhin unter dem Haaransatz hängen, aber seine Kiefer bewegten sich leicht. Irgendwie mahlend. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen, deshalb versuchte ich, genauso zurückzustarren.
    Aber irgendwie wollte es nicht gelingen.
    »Wo ist dein Bruder?«, fragte er schließlich. Ohne dabei die Lippen zu bewegen.
    »Wer?«, fragte ich zurück.
    Ich weiß nicht, warum ich so eine absolut bescheuerte Frage stellte, aber ich glaube, ich versuchte einfach Zeit zu gewinnen. Zeit, um es zu schaffen, in Ohnmacht zu fallen, oder Zeit für irgendeinen wohlgesonnenen Gott oder eine Göttin, die mir beistehen könnte. Die nach Genezar eth kommen und mich für alle Zeiten auf eine unbewohnte Insel in der Südsee entführen würde.
    Aber es kam kein Gott, und ich fiel auch nicht in Ohnmacht.
    »Dein Bruder«, wiederholte Berra Albertsson. »Henry. Ich habe ihm so einiges zu erzählen.«
    »Ach so«, sagte ich.
    »Hast du viele Brüder?«, fragte Berra.
    »Nur einen«, erklärte ich.
    »Na, und wo ist er nun?«
    »Er ist nicht hier«, gab ich Auskunft.
    »Und wann kommt er zurück?«
    »Ich weiß nicht. Erst spät.«
    »Spät?«
    »Erst nachts. Um zwölf. Oder noch später. Er hat einen Zettel dagelassen.«
    »Heute Nacht?«
    »Ja.«
    »Hm.«
    Er senkte die Augenbraue. Hustete zweimal und spuckte aufs Gras. Die Rotze landete zwanzig Zentimeter vor meinem linken Fuß. Einen halben vor Oberst Darkin.
    »Dann grüß ihn von mir«, sagte er. »Und sag ihm, dass ich um ein Uhr nachts wiederkomme. Ich hab so einiges mit ihm zu bereden.«
    »Vielleicht ist er dann noch gar nicht da«, versuchte ich es, »vielleicht kommt er ja noch später.«
    »Dann werde ich auf ihn warten.«
    Damit ging er. Ich blieb stehen und schaute ihm nach. Als er hinter dem Fliedergestrüpp verschwunden war, senkte ich meinen Blick und starrte auf den Rotzfleck, der wie gemeißelt im Gras lag und glitzerte.
    Der wird nie verschwinden, dachte ich. Diese widerliche Rotze wird noch in hundert Jahren auf dem Rasen von Genezareth liegen. Es kommt, wie es kommt.
    »Mit wem hast du denn geredet?«
    Edmunds Kopf schob sich durchs Fenster. »Ich habe geschlafen, und da habe ich Stimmen gehört. Wer war denn da?«
     
    ***
     
    Als ich Edmund von meinem Gespräch mit Berra Albertsson erzählte, wurde er bleich wie eine Leiche.
    Er nahm zehnmal seine Brille ab und setzte sie gleich wieder auf, und er presste die Zähne aufeinander, dass sie knirschten, aber vor allem sah er schrecklich verängstigt aus. Entschlossen und konzentriert trotz des Fiebers, aber auch irgendwie verzweifelt. Mir kam der Gedanke, dass er wahrscheinlich immer so ausgesehen hatte, wenn er darauf gewartet hatte, dass sein richtiger Vater kommen und ihn mit dem Gürtel verprügeln würde. Er sagte fast nichts, während ich wiedergab, was Berra gesagt und was ich gesagt hatte. Ballte ab und zu die Hand zu einer Faust, öffnete sie wieder und versuchte zu schlucken, aber das war auch alles. Irgendwelche Ideen oder Vorschläge für Projekte, die wir anpacken konnten, hatte er nicht.
    Nicht die Bohne.
    »Gewitter«, erklärte er schließlich. »Hab ich doch gesagt. Wir haben die ganze Zeit aufs Gewitter gewartet, und jetzt ist es da.«
    »Verdammte Scheiße«, sagte ich, denn ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen, und fühlte das Bedürfnis, mich mit ein paar kräftigen Flüchen selbst aufzumuntern. »Verfluchter Kackmist.«
    »Genau«, sagte Edmund.
    Der Regen setzte gegen acht Uhr ein, und ich leistete Edmund Gesellschaft und kroch schon kurz nach neun ebenfalls ins Bett. Es wurde ein richtiges, kräftiges Gewitter mit Blitzen und Donner, das beunruhigend nahe erschien, und es wollte überhaupt nicht mehr aufhören.
    »Es gibt Gewitter, die laufen irgendwie immer im Kreis herum«, kommentierte Edmund. »Ich habe mal eins erlebt, in der Gegend von Änge, da hat es über zwölf

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