Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Edmund auf, und schließlich kam Henry von seiner Apothekenfahrt zurück, aber das machte nichts. Als Ewa meine Schultern losließ und mir leicht durchs Haar fuhr, hatte ich fast das Gefühl, wir hätten Blutsbrüderschaft geschlossen. Oder uns zu einer Art Geheimbund zusammengeschlossen. Wir hatten nicht viel miteinander geredet, genau genommen fast gar nichts. Hatten nur zusammen im Gras gesessen, aber dennoch war irgendetwas anders, wie Edmund es vielleicht ausgedrückt hätte.
So verflucht anders. Diesen Gedanken hatte ich so ein- oder zweimal am Tag bis zu dem Zeitpunkt, als das SCHRECKLICHE eintrat, und jedes Mal war es mir, als würde mich ein intensives, warmes Gefühl erfüllen. Intensiv und warm, genau wie ihre Hände auf meinen verspannten Schultern.
Genau wie das Empfinden, wenn man nach einem kalten Wintertag in ein heißes, angenehmes Bad schlüpft, ich weiß noch, das dachte ich damals.
Aber nur irgendwie von innen.
Henry verschwand am gleichen Abend. Ich glaube, er fuhr den Puch, während Ewa den Killer nahm, schließlich musste es schwieriger sein, ein Moped mit nur einem tauglichen Auge zu lenken als ein Auto. Jedenfalls war der Parkplatz leer, als Edmund und ich nach einer ziemlich langen Fahrradtour gegen zehn zurückkamen.
Danach vergingen wieder ein paar Tage. Das Wetter war etwas unbeständig, mal Sonne, mal Regen. Aber die ganze Zeit sehr warm. Wir versuchten uns etwas mit Fischefangen, aber vom Möckeln kursierte das Gerücht, dass er so gut wie keinen Fisch beherbergte, und weder Edmund noch ich hatten so richtig die Muse, dazusitzen und auf einen Schwimmer zu glotzen.
Und der Gedanke, wir könnten vielleicht tatsächlich eine arme Plötze oder einen Barsch herausziehen und mit dem Messer abstechen müssen, verstärkte die Sache noch. Und ihm dann auf den Kopf schlagen zu müssen, bis er tot war. Oder wie immer man das nun machte.
Glücklicherweise mussten wir uns diesem Problem nie stellen, denn es biss keiner an.
Dafür bekam Edmund eine Mandelentzündung. Zwar nur eine leichte - nach seiner eigenen Einschätzung, er hatte schon ein paar Mandelentzündungen gehabt -, aber er war schlaff, hatte Fieber und wollte am liebsten nur im Bett liegen und schlafen. Oder lesen.
»Lesen, schlafen und trinken«, sagte er. »Aus diesen Ingredienzien besteht meine Heilkunst.«
»Ein Sprichwort aus dem Inneren von Lappland?«, fragte ich.
»Falsch«, erklärte Edmund. »Das kommt von meinem Vater.« »Von deinem richtigen?«
»Oh Scheiße, nein«, sagte Edmund. »Von dem doch nicht. Von dem kommt nur Scheiße.«
***
An diesen Tagen war es schwieriger mit Henry zu reden als sonst. Wenn er nicht mit dem Killer unterwegs war, um etwas zu erledigen, lief er meistens murmelnd und paffend herum. Er hatte offensichtlich nicht mehr den richtigen Schwung beim Schreiben, meistens saß er nur da und starrte die Facit an, als wolle er sie dazu bringen, den existenziellen Roman von allein zu tippen. Manchmal hörte ich ihn fluchen und das Papier aus der Walze reißen, und insgesamt verhielt er sich reichlich genervt und grüblerisch.
Da sowohl mein Bruder als auch Edmund ziemlich mit sich selbst beschäftigt waren, Edmund mit seiner Mandelentzündung, Henry mit anderem, hielt ich mich lieber auch an Eigenes. Ich zeichnete mehr als zehn Seiten in Oberst Darkin und das geheimnisvolle Erbe und war mit dem Ergebnis ganz zufrieden. Seit ich beschlossen hatte, alle halb nackten Frauenkörper wegzuzensieren, kam ich viel einfacher mit der Geschichte voran. So soll es wohl sein, dachte ich ein wenig resigniert. In der Literatur und auch im Leben.
Auch die Kost war etwas eintönig in diesen Tagen. Edmund hatte keinen Appetit, und wenn Henry etwas futterte, hatte ich das Gefühl, man hätte ihm ebenso gut einen Teller voll Moos vorsetzen können. Er kümmerte sich nicht die Bohne darum, was er da eigentlich in sich hineinstopfte. Das Resultat davon war, dass wir meistens Kartoffeln mit Butter aßen. Es gab auch noch zwei Büchsen mit Heringen, die wir zu jeder Mahlzeit auf den Tisch stellten, aber keiner von uns konnte sich überwinden, den Deckel abzuschrauben und an einem Hering zu schnuppern. So war es nun einmal, und von Kartoffeln hatten wir noch mehr als genug.
***
Ich hatte gerade Zehn kleine Negerlein beendet und mich zur Wand gedreht, um einzuschlafen, da hörte ich jemanden über den Rasen herankommen.
Henry und Ewa. Ich schaute auf meine selbstleuchtende Armbanduhr. Halb eins.
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