Kim Schneyder
sich.
Sepia atmet jetzt immer schwerer. Ich riskiere einen kurzen Seitenblick, und mir fällt auf, dass sie jetzt denselben Gesichtsausdruck hat wie vorgestern Dieter im Fernsehen, nachdem er erfahren hat, dass Kai-Uwe seine Rosi geschwängert hatte.
»Was schlägst du also vor?«, frage ich betont freundlich, um sie nicht zum Äußersten zu treiben.
»Bei der nächsten Raststation fährst du raus«, sagt Sepia mit eisiger Stimme.
»Okey-dokey«, füge ich mich, und insgeheim bin ich erleichtert. »Ein Kaffee könnte uns ohnehin nicht schaden, der hält uns nämlich munter.«
Man kann von den Franzosen halten, was man will, aber doof können die nicht sein − bei dieser Sprache.
Sepia hat ab Memmingen das Steuer übernommen, und mir ist jetzt ein bisschen übel, weil sie uns natürlich gleich beweisen musste, dass Sonjas Wagen tatsächlich zweihundertdreißig Sachen geht, und vielleicht auch, weil es mir schwerfällt, nur Kaffee zu trinken, wenn mir verführerische Törtchen aus der Vitrine eindeutige Angebote machen.
Ach, übrigens: Wir büffeln jetzt Französisch.
Sonja hat uns nämlich vorgewarnt: Die Franzosen sind ein stolzes Volk, die versuchen erst gar nicht, einen in einer fremden Sprache zu verstehen, und Monegassen sind im Grunde genommen doch auch nur halbe Franzosen. Also haben wir uns auf einen schnellen Grundkurs geeinigt, und die Vorgehensweise war dabei folgende: Sonja hatte in der Schule zwar Leistungskurs Französisch, aber logischerweise nach all den Jahren das meiste schon wieder vergessen, weswegen sie sich ein Wörterbuch samt handlichem Sprachbegleiter gekauft hat, um ihre Kenntnisse ein wenig aufzufrischen. Und genau damit kann sie uns jetzt praktischerweise die wichtigsten Begriffe beibringen.
Wie man sich etwas zu trinken bestellt, zum Beispiel. Oder etwas zu essen. Oder wie man sich nach dem Weg zu den nächsten Toiletten erkundigt. Na ja, was man halt so braucht.
Sepia und ich waren in Französisch noch vollkommen unbedarft, und eines wurde uns schnell klar: Diese Sprache hat es in sich, die ist wirklich kompliziert.
Ein kleines Beispiel gefällig? Für »Was ist das?« sagen sie zum Beispiel »keskösee«. Das klingt jetzt zwar leicht, ist aber nur die Lautschrift, denn schreiben tun sie das »Qu’est-ce que c’est?«. Merken Sie, worauf ich hinauswill?
Und dann, wenn man endlich ein bisschen was kapiert hat, tappt man unweigerlich in die hinterlistigsten Fallen. Da erfährt man zum Beispiel, dass die Franzosen Wörter verwenden, die ganz gleich klingen wie im Deutschen, nur dass man hinten die Endung weglässt. Dusche zum Beispiel heißt »dusch« (anders geschrieben natürlich) und Terrasse ist ganz einfach »terrass«, und Toilette heißt »toilet«, Suppe »supp«, und Salat »salad«. Wunderbar einfach ist das plötzlich, und wir dachten schon, wir hätten es geschafft, wir können jetzt tatsächlich Französisch, um gleich im nächsten Moment in ein fürchterliches Debakel zu rennen.
Als Sonja nämlich fragte: »Und was, glaubt ihr, bedeutet ›tort‹?«, antworteten Sepia und ich übermütig: »Na, was wohl? Torte!«, und ernteten ein mildes Lächeln. »Leider nein, ›tort‹ bedeutet schräg ! « , belehrte sie uns.
Und weiter: »Was bedeutet ›kle‹?«
»Klee?«
»Nein, Schlüssel! Und ›scher‹?«
»Schere!«
»Mm, mm, teuer. Und ›bouche‹?«
»Der Busch?«
»Nö, der Mund. Und ›büro‹?«
»Das muss jetzt aber Büro bedeuten!«
»Nahe dran, aber auch falsch«, lachte Sonja auf. »Büro bedeutet Schreibtisch!«
Irgendwann haben wir’s dann aufgegeben und konzentrierten uns auf das Wesentliche, und nach mühsamen Stunden voller Demütigungen beherrschen wir jetzt wenigstens ein paar Sätze wie »Parlez lentement, s’il vous plaît«, was so viel bedeutet wie »Sprechen Sie bitte langsam«, und falls das nichts helfen sollte: »Je ne vous comprends pas – Ich verstehe Sie nicht«, und, sollte unser Gegenüber uns dann immer noch blöde anglotzen, als letzter Rettungsanker: »Parlez-vous allemand? – Sprechen sie Deutsch?«
Ah ja, und nicht zu vergessen: »Où sont les toilettes? – Wo sind die Toiletten?«
So waren wir wenigstens ein bisschen vorbereitet, wobei ich sagen muss, dass Sepia es noch schwerer hatte als ich, denn die blieb während der ganzen Fahrt am Steuer und dachte gar nicht daran, sich wieder ablösen zu lassen. Im Gegenteil, sie bretterte die ganze Zeit dahin, als gäbe es kein Morgen, nur in der Schweiz ging sie
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