Kim Schneyder
Habe ich sein Ego so nachhaltig zerstört, dass er in seiner Verzweiflung womöglich …
Ach, herrje, er wird sich doch wohl nichts angetan haben? Unsinn! Völlig unmöglich. Schnell verscheuche ich den Gedanken wieder. Wahrscheinlich hat er mich nur nicht angerufen, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Ihm muss inzwischen längst klar geworden sein, dass ich seine Seitensprünge durchschaut habe, und sicher hat er eingesehen, dass ich mich bloß revanchiert habe, und dass es eigentlich überhaupt keinen Grund gibt, sauer auf mich zu sein.
Quidproquo, so einfach ist das.
Warum sich also unnötig Gedanken machen, vor allem, wo wir doch jetzt ganz andere Sorgen haben … wie wir es jemals schaffen sollen, nach Monaco zu kommen, zum Beispiel.
Auch Sepia hat inzwischen den Ernst der Lage erkannt.
»Soviel ich weiß, hat dein Wagen zwölf Jahre Garantie gegen Durchrosten …« Sie feuert einen genervten Seitenblick auf Sonja ab. »… aber wenn du so weiterfährst, wird das nicht reichen, bis wir in Monaco sind.«
»Ich weiß gar nicht, was du hast, wir kommen doch zügig voran«, wehrt die sich achselzuckend.
»Zügig?« Sepia spuckt das Wort förmlich aus. »Wir fahren nicht mal hundert!«
»Und wenn schon! Immerhin habe ich schon einige überholt.«
»Ja, Schwertransporter und Autobusse, und auch die nur, weil sie aus Usbekistan kommen oder hoffnungslos überladen sind. Weißt du was, mir reicht’s. Da vorne kommt eine Raststation, ab da fährt Heidi weiter!«
Sonja leistet keinen Widerstand, und zwei Lachsbrötchen und eine Erdbeerschnitte später sitze ich am Steuer und muss Sepia insgeheim zustimmen: Sonjas Mercedes ist wirklich ein flottes Gerät, denn schon beim leisesten Druck aufs Gaspedal geht er ab wie Schmidts Katze. Für mich ist das Neuland, mein Schnuffelchen verfügt nämlich über eine Art Vorwarnsystem in Sachen Geschwindigkeitsübertretung, der wird zuerst laut, wenn man aufs Gas steigt, und erst dann allmählich schneller. Für meine Fahrten ist das völlig ausreichend, da ich mich meistens in der Stadt bewege, aber mit Sonjas Wagen ist das natürlich etwas ganz anderes. Kaum sind wir auf der Autobahn, brauche ich nur aufs Gaspedal zu tippen, und schon fliegen wir an den ersten Kriechern vorbei, und dabei ist der Motor so leise, dass ich mir gar nicht mehr sicher bin, ob ich ihn überhaupt gestartet habe.
»Wow, das ist ja eine echte Rakete.« Bei aller Begeisterung bemühe ich mich um einen lässigen Tonfall. »Wie schnell geht der denn?«
»Keine Ahnung.« Sonja ist auf dem Rücksitz gerade dabei, ihren Lidstrich nachzuziehen. »Ich glaube, um die zweihundert.«
»Das ist ein Kompressor, der geht mindestens zweidreißig«, klärt Sepia uns unwirsch auf. »Bei unserer Sonja allerdings die reinste Verschwendung. Wieso hast du dir überhaupt so eine starke Version gekauft?«
»Der Verkäufer meinte, das sei vernünftig wegen der aktiven Fahrsicherheit«, rechtfertigt sich Sonja.
»Der meinte wohl eher, das sei vernünftig wegen seiner höheren Provision«, vermutet Sepia.
»Uns kann es nur recht sein, so haben wir jetzt wenigstens einen schnellen Wagen zur Verfügung«, ergreife ich Partei für Sonja.
Ich habe mich gerade hinter einem Lastwagen eingefädelt, der ordentlich Dampf macht.
Nur wenige Sekunden später wirft Sepia einen argwöhnischen Blick auf den Tacho.
»Und was genau machst du da jetzt?«, fährt sie mich an.
Ich habe keine Ahnung, worauf sie hinauswill.
»Was meinst du?«, frage ich unsicher zurück. »Ich fahre, das siehst du doch.«
»Und was machen deiner Meinung nach die da drüben?« Sepia deutet auf die linken Fahrspuren.
»Die fahren auch, genau wie wir.«
»Genau wie wir?«
Sepia holt tief Luft. Irgendwas scheint sie mächtig zu stören, und dann kapiere ich plötzlich: Es liegt an ihren männlichen Genen, natürlich! Kein Mann kann neben einer Frau sitzen und die Klappe halten, solange sie das Auto steuert.
»Die fahren, damit hast du recht, aber die fahren doppelt so schnell wie wir!«, setzt sie unerbittlich nach.
Ich checke mit einem schnellen Blick den Tacho.
»Ich weiß gar nicht, was du willst. Ich fahre hundertzehn, das sind immerhin zehn Prozent mehr als vorhin Sonja«, rechne ich ihr vor.
Und unter uns: Ich finde es sogar ausgesprochen clever, hinter einem dicken Laster herzufahren. Auf die Art können einem zum Beispiel Geisterfahrer egal sein, oder ein überraschendes Stauende, hat man doch dieses prächtige Räumfahrzeug vor
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