Kind 44
Agenten eingedrungen und hatten sie verhaftet. Als sie abgeführt worden war, hatte Basarow ihr in seiner typischen Boshaftigkeit hinterhergerufen, sie verdiene jede Strafe, die sie bekomme. Ohne ein Wort der Erklärung hatte man sie gefesselt auf die Ladefläche eines Lasters gesetzt. Sie hatte keine Ahnung, was mit Leo passiert war, bis sie einen Beamten sagen hörte, dass sie ihn hatten. Der Zufriedenheit in seiner Stimme hatte sie entnommen, dass Leo zumindest versucht hatte zu entkommen.
Während die Hand des Arztes über ihren Körper strich, versuchte sie, immer nur starr geradeaus zu blicken, so als sei er gar nicht da. Aber sie schaffte es nicht, ihm nicht doch gelegentlich flüchtige Blicke zuzuwerfen.
Seine Knöchel waren behaart, die Fingernägel sauber und sorgfältig geschnitten. Der Wachmann hinter ihr fing an zu lachen, ein kindisches Gegacker. Raisa versuchte sich vorzustellen, dass ihr Körper unantastbar sei und er, egal was er versuchte, nicht Hand an sie legen könne. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Mit entsetzlicher, absichtlicher Bedächtigkeit fuhren seine Finger an der Innenseite ihres Beins hoch. Sie merkte, wie ihr Tränen in die Augen schossen, und blinzelte sie weg. Zarubin beugte sich näher, sein Gesicht war jetzt ganz dicht an ihrem. Er küsste ihre Wange und sog die Haut in seinen Mund ein, so als wolle er ein Stück abbeißen.
Die Tür ging auf. Wassili kam herein. Der Doktor fuhr hoch, stand auf und trat zurück.
Wassili war ungehalten. »Ihr fehlt nichts. Es besteht kein Grund, dass Sie hier sind.«
»Ich wollte nur sichergehen.«
»Sie können gehen.«
Zarubin nahm sein Köfferchen und ging. Wassili schloss das Gitter. Er hockte sich neben Raisa hin und betrachtete ihre Tränen.
»Sie sind stark. Vielleicht denken Sie, dass Sie es aushalten werden. Ich kann verstehen, dass Sie Ihrem Mann gegenüber loyal bleiben wollen.«
»Tatsächlich?«
»Nein, Sie haben recht, eigentlich kann ich es nicht verstehen. Was ich sagen wollte, ist: Es wäre besser für Sie, wenn Sie mir alles sofort sagen würden. Sie halten mich vielleicht für ein Scheusal. Aber wissen Sie, von wem ich genau diesen Satz habe? Von Ihrem Mann.
Das hat er den Leuten immer gesagt, bevor sie zum Foltern abgeführt wurden, einem sogar genau in diesem Raum. Er meinte es sogar ehrlich, falls das eine Rolle spielen sollte.«
Raisa starrte das ebenmäßige Gesicht dieses Mannes an und fragte sich wie schon vor Monaten im Bahnhof, warum er ihr trotzdem so hässlich vorkam. Seine Augen waren dumpf. Nicht leblos oder dumm, aber kalt.
»Ich werde Ihnen alles sagen.«
»Aber wird das reichen?«
***
Leo hätte seine Kräfte sparen sollen, bis eine Gelegenheit kam, wirklich etwas zu unternehmen. Jetzt gab es keine. Er hatte schon viele Gefangene ihre Energie damit verschwenden sehen, dass sie mit den Fäusten gegen die Tür schlugen und schrien oder ohne Unterlass in ihren Zellen auf- und abliefen. Damals hatte er sich gefragt, warum sie die Sinnlosigkeit ihres Tuns nicht einsahen. Jetzt, wo er in derselben Zwickmühle steckte, verstand er, was in ihnen vorgegangen war. Es war, als sei sein Körper allergisch gegen Gefangenschaft. Mit Logik oder kühlem Verstand hatte das gar nichts zu tun. Er konnte einfach nicht dasitzen, abwarten und nichts tun. Stattdessen zerrte er an seinen Fesseln, bis seine Handgelenke anfingen zu bluten. Irgendetwas in ihm glaubte tatsächlich, dass er diese Ketten würde zerreißen können, auch wenn er schon 100 Männer und Frauen gesehen hatte, die man damit gefesselt hatte, und nicht einmal waren sie gerissen. Aber er war befeuert von der Idee einer grandiosen Flucht und dachte nicht daran, dass eine solche Hoffnung mindestens so gefährlich war wie alle Foltern, die sie ihm zufügen konnten.
Wassili kam herein und bedeutete der Wache, vor Leo einen Stuhl aufzustellen. Der Wachmann gehorchte und stellte den Stuhl knapp außer Leos Reichweite.
Wassili trat vor, nahm den Stuhl und rückte ihn näher heran. Ihre Knie berührten sich fast. Er starrte Leo an und sah zu, wie der mit aller Kraft an seinen Fesseln zerrte.
»Beruhige dich. Deine Frau ist unversehrt. Sie ist nebenan.«
Mit einem Fingerzeig schickte Wassili den Wachmann zum Gitter. Er öffnete es. Wassili rief: »Raisa. Sagen Sie etwas zu Ihrem Mann. Er macht sich Sorgen um Sie.«
Raisas Stimme hörte sich an wie ein schwaches Echo.
»Leo?«
Leo sank zurück in den Stuhl und entspannte sich. Bevor er antworten konnte,
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