Kind 44
Loch, wischte sich Schweiß und Blut von den Fingern und umwickelte sie mit einem Hemdfetzen. Dann versuchte er es noch einmal. Er zwang sich, geduldig zu bleiben, während er den Nagel hin und her drehte und ihn nach und nach aus der Bohle zog. Geschafft, der dritte Nagel war draußen. Leo tastete das Holz nach weiteren Nägeln ab, aber es gab keine mehr, zumindest fand er keine. Er setzte sich auf und zog den Arm aus dem Loch.
Raisas Arme waren schmal genug, dass sie beide Hände durch das Loch schieben konnte. Sie griff unter die Planke. Jetzt kam es drauf an. Als die Bohle sich einige Zentimeter gehoben hatte, packte Leo mit an. Beide zogen. Das eine Ende der Bohle hob sich, während das andere an seinem Platz blieb. Leo stemmte das Ende so hoch, wie es nur ging. Er spähte hinab und konnte unter dem Waggon die Gleise sehen. Der Plan hatte funktioniert. Dort, wo die Bohle gelegen hatte, war nun eine etwa 30 Zentimeter breite und über einen Meter lange Lücke. Gerade genug, dass ein Mensch sich hindurchzwängen konnte.
Mit Hilfe anderer Gefangener wäre es möglich gewesen, die Bohle durchzubrechen, aber Leo fürchtete, der Lärm könnte die Wachen alarmieren, und entschied sich dagegen. Er wandte sich zu den Mitgefangenen um. »Ich brauche ein paar Leute, die die Bohle hochhalten, während wir uns durch die Lücke auf die Gleise fallen lassen.«
Sofort standen ein paar Freiwillige auf, kamen herbei und hielten die Bohle fest. Leo schätzte den Abstand ein. Wenn sie sich durch das Loch gezwängt hatten, würden sie direkt unter den Zug fallen. Vom Waggonboden waren es vielleicht ein bis anderthalb Meter. Der Zug fuhr zwar langsam, aber trotzdem noch schnell genug, dass der Aufprall gefährlich war. Aber sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Sie mussten jetzt verschwinden, solange der Zug noch durch die Nacht fuhr.
Wenn er beim Morgengrauen anhielt, würden die Wachen sie entdecken.
Raisa ergriff Leos Hand. »Ich gehe zuerst.«
Leo schüttelte den Kopf. Er kannte die Pläne für solche Gefangenentransporte. Ein Hindernis stand ihnen noch bevor. Eine letzte Falle für Gefangene, die genau auf diese Weise fliehen wollten.
»Ganz am Ende des Zuges hängen vom letzten Waggon eine Menge Haken herunter. Wenn wir uns einfach so auf die Gleise fallen lassen und abwarten würden, bis der letzte Waggon an uns vorbei wäre, würden die Haken sich in uns verfangen und uns mitschleifen.«
»Können wir ihnen nicht entgehen? Uns wegrollen?«
»Es gibt Hunderte, und sie hängen alle an Drähten.
Keine Chance, da lebend durchzukommen. Wir würden uns in ihnen verfangen.«
»Und was sollen wir jetzt machen? Wir können doch nicht warten, bis der Zug anhält.«
Leo wies auf die zwei Leichen. Raisa stand daneben, verstand aber offenbar nicht, was er vorhatte.
»Sobald du dich auf die Gleise fallen lässt, werde ich sofort anschließend einen der Körper hinterherwerfen.
Ganz egal, wo er landet, du musst hinkriechen. Sobald du bei ihm bist, legst du dich darunter. Du musst ihn genau über dich legen. Wenn der letzte Waggon über dich hinwegrollt, wird sein Körper von den Haken erfasst und mitgeschleift, aber du bist frei.«
Er zerrte die Leichen zu der losen Bohle.
»Soll ich allein gehen? Vielleicht funktioniert es nicht.
Vielleicht solltest du lieber hier bleiben. Jeder andere Tod ist besser, als von diesem Zug mitgeschleift zu werden.«
Raisa schüttelte den Kopf. »Der Plan ist gut. Er wird klappen. Ich gehe zuerst.«
Als sie sprungbereit war, wiederholte Leo noch einmal die letzten Anweisungen.
»Der Zug fährt nicht schnell. Dein Sturz wird zwar wehtun, aber er ist nicht besonders gefährlich. Sieh zu, dass du dich abrollst. Dann werfe ich eine der Leichen raus.
Du hast nicht viel Zeit.« »Verstanden.«
»Du musst zu dem Körper hin. Wenn du da bist, legst du dich unter ihn. Pass auf, dass auch nicht das Geringste von dir hervorlugt. Wenn dich nur ein einziger Haken erwischt, schleift er dich mit.«
»Ich habe es schon verstanden, Leo.«
Raisa küsste ihn. Sie zitterte.
Sie zwängte sich durch die Lücke zwischen den Bohlen.
Ihre Füße baumelten jetzt über den Gleisen. Sie ließ los, fiel und war schon nicht mehr zu sehen. Leo zerrte an der ersten Leiche und quetschte sie durch die Lücke.
Der Körper fiel auf die Gleise und war im nächsten Moment verschwunden.
***
Raisa war ungünstig aufgekommen und hatte sich die Seite aufgeschrammt. Orientierungslos und benommen blieb sie einen Moment
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