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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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er, dass sie lächelte. »Hast du mir etwa auf den Zahn gefühlt?«
    »Ich wollte nur ein bisschen plaudern.« »Und, habe ich bestanden?«
    »Das hängt davon ab, ob wir nach Schachty kommen oder nicht.«
    Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Raisa: »Und was geschieht, wenn das hier vorbei ist?« »Keine Ahnung.«
    »Im Westen würden sie dich mit Kusshand nehmen, Leo. Sie würden dich beschützen.«
    »Ich werde dieses Land niemals verlassen.«
    »Selbst, wenn dieses Land dich umbringen will?«
    »Wenn du überlaufen willst, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, dich auf ein Schiff zu bekommen.«
    »Und du? Willst du dich etwa in den Bergen verstecken?«
    »Sobald dieser Mann tot ist und du sicher außer Landes bist, werde ich mich stellen. Ich will nicht im Exil leben, unter Leuten, die mich eigentlich hassen und nur an meinen Informationen interessiert sind. Ich will nicht als Ausländer leben. Das kann ich einfach nicht. Es würde bedeuten, dass alles, was diese Leute in Moskau über mich behauptet haben, wahr wäre.«
    »Ist das denn so wichtig?« Raisa klang verletzt.
    Leo berührte ihren Arm. »Ich verstehe nicht, Raisa.«
    »Ist das denn so schwierig zu verstehen? Ich will, dass wir zusammenbleiben.«
    Einen Moment lang verschlug es ihm die Sprache.
    Dann sagte er: »Ich kann nicht als Verräter leben. Ich kann es einfach nicht.«
    »Dann bleiben uns wohl noch etwa vierundzwanzig Stunden.«
    »Es tut mir leid.«
    »Wir sollten für uns das Beste daraus machen.«
    »Und wie?«
    »Wir sollten einander die Wahrheit sagen.«
    »Die Wahrheit?«
    »Wir haben doch alle beide bestimmt Geheimnisse voreinander. Ich weiß, dass ich welche habe. Du etwa nicht? Sachen, die du mir nie erzählt hast?«
    »Doch.«
    »Na gut, ich fange an. Ich habe früher immer in deinen Tee gespuckt. Nachdem ich von Sojas Verhaftung erfahren hatte, war ich mir sicher, dass du sie verpfiffen hattest. Also habe ich ungefähr eine Woche lang in deinen Tee gespuckt.«
    »Du hast in meinen Tee gespuckt?«
    »Ungefähr eine Woche lang.«
    »Und warum hast du damit aufgehört?«
    »Es schien dir nichts auszumachen.«
    »Ich habe es nicht mal bemerkt.«
    »Eben. Jetzt bist du dran.«
    »Ehrlich gesagt ...«
    »Das ist ja der Sinn der Sache.«
    »Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass du mich geheiratet hast, weil du Angst hattest. Ich glaube, du hast mich ganz bewusst ausgesucht. Du hast es nur so aussehen lassen, als hättest du Angst. Du hast mir einen falschen Namen genannt, und ich habe dich trotzdem nicht in Ruhe gelassen. Aber ich glaube, dass du mich eigentlich ganz bewusst angepeilt hast.«
    »Du meinst, ich bin eine ausländische Agentin?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Aber ich habe immer damit gerechnet, dass du Leute kennst, die für westliche Geheimdienste arbeiteten. Vielleicht hast du ihnen ja geholfen. Vielleicht war das dein Hintergedanke, als du mich geheiratet hast.«
    »Das ist kein Geheimnis, das ist pure Spekulation. Du sollst mir deine Geheimnisse verraten. Tatsachen bitte.«
    »Ich habe zwischen deinen Sachen einen Rubel gefunden. Eine Münze, die man auseinandernehmen konnte.
    Die dient zum Schmuggeln von Mikrofilmen. Sonst hat keiner so etwas.«
    »Warum hast du mich nicht denunziert?«
    »Ich konnte es nicht.«
    »Leo, ich habe dich nicht geheiratet, um in die Nähe des MGB zu kommen. Ich habe dir die Wahrheit schon gesagt. Ich hatte Angst.«
    »Und die Münze?«
    »Die gehörte mir.«
    Ihre Stimme verlor sich, so als würde sie abwägen, ob sie weitererzählen sollte.
    »Ich habe sie nicht verwendet, um Mikrofilme zu schmuggeln. Als Flüchtling hatte ich immer eine Zyanidpaste dabei.«
    Raisa hatte ihm noch nie von der Zeit erzählt, nachdem ihre Heimatstadt zerstört worden war. Die Monate unterwegs, die dunkle Zeit ihres Lebens. Nervös wartete Leo darauf, was er zu hören bekommen würde.
    »Du kannst dir sicher vorstellen, was man mit den weiblichen Flüchtlingen damals gemacht hat. Die Soldaten hatten so ihre Bedürfnisse. Sie riskierten schließlich ihr Leben, da waren wir ihnen schon was schuldig.
    Wir waren ihre Belohnung. Einmal – es ist nämlich mehrmals vorgekommen – da hat es so wehgetan, dass ich mir etwas geschworen habe: Wenn es noch einmal passieren würde, wenn es auch nur danach aussähe, dann würde ich dem Kerl das Zeug zwischen die Zähne schmieren. Sie konnten mich umbringen, mich von mir aus aufhängen, aber vielleicht würden sie es sich danach gründlich überlegen, bevor sie das

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