Kind 44
das Bewusstsein. Leo schlug ihm ins Gesicht, der Mann musste unbedingt wach bleiben. Er schlug ihn noch einmal. Der Verdächtige öffnete die Augen, aber sofort fielen sie ihm wieder zu. Leo ohrfeigte ihn wieder und wieder.
Ihnen blieb keine Zeit mehr. Er stand auf und rief seinen Männern zu: »Beeilung!«
Seine Stimme wurde immer leiser. Er merkte, wie seine Energie wich, und jetzt, wo die chemische Unverwundbarkeit langsam nachließ, holte ihn auch die Kälte ein.
Die Droge hatte den Zenit ihrer Wirksamkeit überschritten und konnte der Wirklichkeit nicht mehr Einhalt gebieten. Tiefe Erschöpfung nahm seinen Körper in Besitz. »Zieht eure Jacken aus. Macht Feuer.«
Alle drei zogen ihre Jacken aus. Eine legten sie Leo um, die anderen beiden Brodsky. Aber das würde nicht reichen. Sie brauchten ein Feuer. Die drei Agenten sahen sich nach Holz um. In einiger Entfernung stand ein Lattenzaun, und zwei von ihnen rannten darauf zu, während der dritte begann, den Ärmel seines groben Baumwollhemds in Streifen zu reißen. Leo ließ keinen Blick von dem Gefangenen, diesem kostbaren Gut, und schlug ihn weiter, damit er wach blieb. Auch er selbst war todmüde. Er wollte ausruhen, die Augen zumachen. »Beeilung!« Er hatte schreien wollen, aber seine Stimme war kaum hörbar.
Die beiden Agenten kamen mit Latten zurück, die sie aus dem Zaun gerissen hatten. Sie machten ein Stück Erde frei, indem sie mit den Füßen allen Schnee beiseite schoben, und schichteten Holz auf den gefrorenen Boden. Darauflegten sie die Baumwollstreifen. Um diese herum bauten sie vorsichtig eine Pyramide aus dünnen Holzscheiten. Einer der Beamten holte sein Feuerzeug hervor und goss Benzin auf die Lappen. Ein Funke entsprang dem Feuerstein, die Baumwolle fing Feuer und begann zu brennen. Das Holz qualmte. Aber es war feucht und wollte nicht anbrennen. Rauch kräuselte hoch. Leo spürte keine Wärme. Das Holz brauchte zu lange, bis es austrocknete. Er riss das Futter aus der Jacke und legte es auf die Flamme. Wenn das Feuer ausging, würden sie beide sterben.
Jetzt hatten sie nur noch ein Feuerzeug übrig. Der Beamte nahm es vorsichtig auseinander und schüttete das letzte Benzin über das flackernde Feuer. Die Flammen schlugen höher und bekamen weitere Nahrung durch eine zerknüllte Zigarettenschachtel und zerrupftes Zigarettenpapier. Alle drei Agenten knieten vor dem Feuer und schürten es. Die Latten fingen an zu brennen.
Anatoli öffnete die Augen und stierte in die Flammen.
Das Holz knisterte in der Hitze. Obwohl er hatte sterben wollen, war das Gefühl von Wärme auf seiner Haut wunderbar. Als das Feuer wuchs und die Glut rot zu leuchten begann, begriff er konsterniert, dass er überleben würde.
Leo saß da und konzentrierte sich auf die Glut. Seine Kleider dampften. Zwei der Beamten, darauf erpicht, sich seine Anerkennung zurückzuverdienen, schleppten weiter Feuerholz herbei und trockneten es neben dem Feuer, bevor sie es in die Flammen warfen. Der dritte stand Wache. Als die Gefahr gebannt war, dass das Feuer ausgehen würde, befahl Leo den Männern, die immer noch Holz sammelten, zum Hof zurückzukehren und ihre Rückfahrt nach Moskau vorzubereiten. An seinen Gefangenen gewandt fragte er: »Können Sie laufen?«
»Früher bin ich mit meinem Sohn angeln gegangen.
Abends haben wir ein Lagerfeuer so wie das hier gemacht und uns drangesetzt. Das Angeln hat ihm keinen sonderlichen Spaß gemacht, aber ich glaube, die Lagerfeuer mochte er. Wenn er nicht gestorben wäre, wäre er heute etwa in Ihrem Alter.«
Leo antwortete nicht. Der Gefangene fuhr fort: »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern noch ein bisschen dableiben.«
Leo legte mehr Holz aufs Feuer. So viel Zeit hatten sie.
***
Auf dem Weg zurück sprach keiner der Männer. Für die Strecke, die Leo in weniger als einer halben Stunde zurückgelegt hatte, benötigen sie jetzt beinahe zwei Stunden. Die Meta-Amphetamine bauten sich ab, und jeder Schritt kam ihm schwerer vor als der vorherige.
Nur der Gedanke an seinen Erfolg hielt ihn jetzt noch auf den Beinen. Wenn er nach Moskau zurückkehrte, hatte er sich bewiesen, hatte seinen Status zurückerlangt. Er hatte am Rand einer Niederlage gestanden, aber er war wieder da.
Auf dem Weg zum Bauernhof fragte sich Anatoli, wie sie ihn gefunden hatten. Vermutlich hatte er Zina einmal von seiner Freundschaft zu Michail erzählt, und die hatte ihn verraten. Aber er war nicht wütend auf sie.
Dazu war er zu müde. Sie wollte
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