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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Entscheidung, Brodsky weiter frei herumlaufen zu lassen, wo man ihn doch besser verhaftet hätte. Aber Wassili fragte sich, ob es auch etwas mit Fjodor und dem Tod des kleinen Jungen zu tun hatte. Leo war losgeschickt worden, um die Sache zu bereinigen. Viele der Männer waren Freunde von Fjodor. Wenn es da einen Groll gab, konnte man sich den zunutze machen und manipulieren.
    Leo bückte sich und untersuchte die Spuren im Schnee.
    Da waren frische Stiefelabdrücke. Einige stammten von seinen Leuten, aber unter ihnen befand sich eine Spur, die von der Scheune in Richtung Felder führte. Er stand auf und betrat die Scheune. Wassili rief ihm hinterher:
    »Ich habe sie schon durchsucht.«
    Leo ignorierte ihn und berührte das aufgebrochene Torschloss. Er sah die auf dem Boden ausgebreiteten Getreidesäcke, kam wieder nach draußen und starrte in Richtung Felder. »Drei Mann folgen mir, die schnellsten drei. Wassili, du bleibst hier. Durchsucht weiter das Haus.«
    Er zog seine schwere Winterjacke aus. Ohne ihn damit bewusst brüskieren zu wollen, reichte er sie seinem Stellvertreter. Nun konnte er ungehindert laufen. Er begann, den Spuren in die Felder hinein zu folgen.
    Die drei Agenten, die er beordert hatte, ihm zu folgen, machten sich nicht die Mühe, ihre Jacken auszuziehen.
    Erwartete ihr Vorgesetzter etwa von ihnen, dass sie ohne Jacke durch den Schnee liefen, wo er noch nicht einmal in der Lage war, den toten Sohn ihres Kollegen selbst in Augenschein zu nehmen? Man hatte den Tod eines kleinen Jungen abgetan, als sei das gar nichts.
    Sie würden sich hier doch keine Lungenentzündung holen, nicht aus blindem Gehorsam für einen Mann, dessen Autorität sich vielleicht ohnehin schon ihrem Ende zuneigte, einen Mann, der keinen Finger für sie rührte. Trotzdem war er immer noch ihr befehlshabender Offizier, jedenfalls momentan. Und nachdem sie einen Blick mit Wassili gewechselt hatten, begannen die drei Männer in gespieltem Gehorsam schwerfällig loszulaufen. Der Mann vor ihnen hatte schon ein paar 100 Meter Vorsprung.
    Leo wurde schneller. Die Amphetamine bündelten seine Kräfte, es gab nichts mehr um ihn herum als die Spuren im Schnee und den Rhythmus seiner Schritte.
    Er konnte weder anhalten noch langsamer werden, konnte nicht scheitern, konnte nicht einmal die Kälte fühlen. Obwohl er schätzte, dass der Gesuchte mindestens eine Stunde Vorsprung hatte, machte ihm das keine Sorgen. Der Mann hatte ja keine Ahnung, dass man ihm auf den Fersen war. Mit Sicherheit bewegte er sich nur im Schritttempo vorwärts.
    Vor ihm lag ein Hügelkamm, und Leo hoffte, dass er von der Anhöhe aus den Verdächtigen würde sehen können. Oben angekommen machte er Halt und spähte auf die Landschaft um ihn herum. In jeder Richtung lagen schneebedeckte Felder vor ihm. In einiger Entfernung machte er den Rand eines dichten Waldes aus, aber einen Kilometer davor, den Hügel hinunter, sah er einen Mann durch den Schnee stapfen. Das war kein Bauer oder Landarbeiter, das musste der Verräter sein.
    Er ging in Richtung Norden auf einen Wald zu. Wenn er rechtzeitig die Bäume erreichte, konnte er sich verstecken. Leo hatte keine Hunde dabei, die ihn hätten stellen können, und seine drei Agenten hingen zurück.
    Leo wurde klar, dass zwischen ihm und ihnen ein Band des Vertrauens zerrissen war und er auf sie nicht zählen konnte. Er würde den Verräter allein fangen müssen.
    Als ob ein sechster Sinn ihn gewarnt hätte, blieb Anatoli stehen und drehte sich um. Vom Hügel herab kam ein Mann auf ihn zugelaufen. Kein Zweifel, das war einer vom Staat. Dabei war sich Anatoli doch sicher gewesen, jeden Hinweis, der ihn mit diesem entlegenen Dorf in Verbindung bringen konnte, zerstört zu haben.
    Er verharrte einen Moment, unfähig sich zu rühren und gebannt vom Anblick seines Verfolgers. Man hatte ihn gefunden. Er merkte, wie sich ihm der Magen umdrehte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Dann wurde ihm schlagartig klar, dass dieser Mann für ihn den Tod bedeutete, er wandte sich um und lief los in Richtung Wald. Die ersten Schritte waren unbeholfen und hektisch, er taumelte seitwärts in tiefere Schneewehen. Schnell wurde ihm klar, dass sein Mantel ihn behinderte. Er riss ihn sich vom Leib und ließ ihn zu Boden fallen. Er rannte um sein Leben.
    Anatoli machte jetzt nicht mehr den Fehler, sich umzublicken. Er konzentrierte sich auf den Wald vor ihm.
    Wenn er in dieser Geschwindigkeit weiterlief, würde er ihn erreichen, bevor sein Verfolger

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