Kind der Hölle
Gefahr, daß die Waffe ihren Hals durchbohren würde, hätte sie aufzuhalten vermocht, wenn es ihr gelungen wäre, ihren Körper dem Willen ihres Geistes zu unterwerfen. Doch sie schien vom Hals abwärts gelähmt zu sein, so als übte eine fremde Macht Kontrolle über sie aus und zwänge sie, regungslos dazustehen und zuzuschauen, was ihr Mann tat.
Ted hatte Molly aus dem Hundefell ausgewickelt. Das Kind lag jetzt nackt auf dem Altar.
Molly stand offenbar auch unter dem Bann derselben Macht, die Janet gefangen hielt, denn sie unternahm keinen Fluchtversuch. Aber sie weinte, und Janet hörte die Angst ihres Kindes.
Ted hatte die Kleine auf den Rücken gelegt, und sie sah im Kerzenlicht völlig hilflos aus. Ihre Augen waren auf die Gestalt am Kreuz gerichtet – auf Janets Gestalt –, und zweifellos hielt sie dieses Schreckensbild für wahr.
»Hör auf«, flehte sie Ted an. »Um Gottes willen, Ted, was tust du?«
Er drehte sich nach ihr um. Sie konnte ihn zwar noch erkennen, aber sein attraktives Gesicht war aufgedunsen, die Haut fleckig und mit eitrigen Geschwüren übersät. Sein Gewand fiel auseinander, während er sich ihr zuwandte, und sie bemerkte, daß seine Haut sich seltsam wellte. Im nächsten Moment erkannte sie die Ursache: Schwärme von Maden krochen aus ihm hervor, wanden sich frei, fielen auf den Boden und schlängelten auf Janet zu.
Sie schluchzte, und jedes Aufschluchzen veranlaßte ihren Mann zu einem grausamen Hohngelächter.
Seine funkelnden Augen waren auf sie gerichtet, als das Messer in Jareds Hand zuckte. Janet spürte, daß die Spitze sich in ihre Haut bohrte.
»Warte!« befahl Ted.
Jared erstarrte, zog aber den Dolch nicht zurück.
»Molly!« kommandierte Ted. »Zuerst Molly, dann deine Mutter!«
»Nein«, flüsterte Janet. Das hier war ein Alptraum, es konnte nur ein Alptraum sein! Aber sie wußte, daß es kein Traum war, daß diese unvorstellbare Szene sich tatsächlich abspielte. »Bitte …«, stöhnte sie kraftlos.
Ein dünner Blutfaden lief ihr über den Hals, als Jared die Dolchspitze aus ihrer Haut riß und sich entfernte. Doch jene geheimnisvolle Macht lähmte sie nach wie vor, so daß sie nichts tun konnte, um ihr jüngstes Kind zu retten. Hilflos mußte sie mit ansehen, wie ihr Sohn sich dem Altar näherte und das Messer über Mollys nackten Bauch hielt.
»Tu’s!« flüsterte Ted drohend. »Du weißt, daß du es tun mußt, Jared. Du weißt, daß du es tun willst! Diene deinem Herrn! Diene ihm, so wie ich es versprochen habe!«
Ein gewaltiger Zorn ließ Janet erzittern. »Was hast du gesagt? Welcher Herr? Was hast du versprochen? Ted, um Himmels willen, was hast du getan?«
Ted fixierte sie aus schmalen Augenschlitzen. »Ich habe getan, was ich tun mußte«, fauchte er. »Und ich habe es nicht nur für mich getan, sondern auch für dich!«
Janet starrte ihn an und versuchte zu begreifen, was er sagte. Aber nichts ergab einen Sinn. Alles, was sie sah, alles, was sie hörte, war völlig unmöglich. Im tiefsten Innern wußte sie jedoch, daß es nicht unmöglich war. Und plötzlich wußte sie auch, was Ted getan hatte.
Er hatte seine Seele verkauft.
Und auch die Seele seines Sohnes.
Nicht seines Sohnes, ihres gemeinsamen Sohnes! »Nein«, schrie sie. »Das kannst du nicht machen, Ted! Du kannst Jared nicht weggeben! Er gehört dir nicht!«
»Nein?« höhnte Ted. »Schau ihm doch zu! Er wird genau das tun, was ihm befohlen wurde.« Er wandte sich dem Altar zu und breitete die Arme aus.
Das Kreuz, an das Janets Ebenbild genagelt war, verschwand. Statt dessen tauchte ein Gesicht auf, das Gesicht des Bösen, schrecklicher als jeder Alptraum. Die Augen, tief in eiternde Höhlen eingesunken, glitzerten im harten, kalten Licht. Sie bohrten sich in Janet, hielten tief in ihrem Innern Ausschau nach … wonach?
Nach Schwäche!
Was willst du? Janet hörte die drohende und zugleich verführerische Frage so deutlich, als wäre sie ihr ins Ohr geflüstert worden. Du kannst es haben. Du kannst alles haben, was du willst.
Die gräßliche Fratze begann sich zu verwandeln, nahm Teds Gesichtszüge an. Aber es war nicht der Ted von heute. Es war der Ted, in den sie sich vor vielen Jahren verliebt hatte. Doch auch das stimmte nicht ganz. Das Gesicht, das über dem Altar schwebte, glich dem Ted, von dem sie immer nur geträumt hatte.
Vollkommen in jeder Hinsicht, mit ebenmäßigen Zügen und leuchtenden Augen. Ein idealisierter Ted. Er lächelte ihr zu, und seine Stimme war sanft,
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