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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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bestürzt auf. Sogar Molly saß plötzlich mucksmäuschenstill auf den Knien ihres großen Bruders.
    Die alte Dame war also gestorben … Ted versuchte seine Gefühle zu analysieren.
    Verspürte er Trauer? Wie konnte man um jemanden trauern, den man kaum gekannt und von dem man nie ein freundliches – geschweige denn ein liebevolles – Wort gehört hatte?
    War es für ihn ein schmerzlicher Verlust? Bestimmt nicht, denn er hatte seine Tante nur in diesem Heim erlebt und nie als enges Familienmitglied betrachtet. Seine Familie – das war nur Janet. Janet und die Kinder. Eine andere Familie hatte er nie gehabt.
    Empfand er Mitleid? Ein wenig, aber Cora Conway hatte so lange gelitten, daß der Tod für sie eine Erlösung gewesen sein mußte.
    Was Ted hauptsächlich verspürte, war große Erleichterung – Erleichterung darüber, daß die ganze Sache nun endlich ausgestanden war. Schuldbewußt mußte er sich eingestehen, daß es ihm dabei viel mehr um seine eigene Person als um seine Tante ging. Trotzig sagte er sich, daß für Schuldgefühle nicht der geringste Grund bestand, daß er Cora häufiger besucht und sein Möglichstes getan hätte, um ihr das Leben etwas leichter zu machen, wenn sie sich ihm gegenüber halbwegs anständig verhalten hätte. Doch jetzt, in nüchternem Zustand, wirkte diese Rechtfertigung ziemlich fadenscheinig. Die Wahrheit war: Er hätte die schlechte Behandlung und die Schmähungen einfach ignorieren sollen. Schließlich war sie alt und sehr krank gewesen, sowohl geistig als auch körperlich. Er hatte nichts von ihr wissen wollen. Und jetzt war sie tot.
    Keine Trauer, kein Empfinden, einen schmerzlichen Verlust erlitten zu haben. Nur Gewissensbisse.
    Nun, w enigstens werde ich mich um das Begräbnis kümmern, sozusagen als Wiedergutmachung, beschwichtigte er sein Gewissen. Wenn er einen klaren Kopf hatte, so wie im Augenblick, besaß er großes Organisationstalent – deshalb war er ja in seinem Job so erfolgreich gewesen, bevor er zum Alkoholiker wurde. Im Geiste machte er schon eine Liste von all den Dingen, die in den nächsten Tagen erledigt werden mußten. Bald stellte sich jedoch heraus, daß alle notwendigen Vorkehrungen längst getroffen worden waren. »Wissen Sie, es gab Tage, an denen Ihre Tante völlig klar war«, erklärte Bea LeBecque, als sie Ted den Brief aushändigte, in dem Cora Conway ihre Wünsche schriftlich niedergelegt hatte. Beigefügt waren Quittungen, die bewiesen, daß alle Begräbniskosten im voraus bezahlt worden waren. »Ein Anruf bei Bruce Wilcox ist das einzige, was Sie tun müssen.« Als die Empfangsdame sah, daß Ted mit dem Namen nichts anfangen konnte, fügte sie hinzu: »Das war der Anwalt Ihrer Tante.« Sie wählte seine Nummer, die sie auiswendig kannte, dann übergab sie Ted den Hörer.
    Zehn Minuten später berichtete er seiner Familie, was der Anwalt ihm mitgeteilt hatte.
    »Es gibt da irgendein Treuhandvermögen. Ich bin nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe, aber dieser Wilcox sagt, Tante Cora habe vor langer Zeit vergeblich versucht, es aufzulösen.«
    »Und warum wollte sie das?« fragte Janet mit gerunzelter Stirn.
    »Laut Wilcox wollte sie das Haus loswerden, aber offenbar hatte der Treuhänder ausdrücklich verfügt, daß es im Besitz der Familie bleiben müsse.«
    »Wir haben also ein Haus geerbt?« rief Janet.
    Ted schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben nur das Recht dort zu wohnen. So hat Wilcox es mir jedenfalls erklärt.«
    Sie betrachteten es schweigend.
    Ihre Blicke schweiften über den massiven Bau und das 400 Quadratmeter große Grundstück, das dermaßen von Unkraut überwuchert war, daß man nicht mehr feststellen konnte, ob es hier jemals Rasenflächen und Gärten gegeben hatte.
    Eine Garage gab es jedenfalls, groß genug für mindestens sechs Wagen, und darüber ein Apartment, das vermutlich als Wohnung für Chauffeure gedacht gewesen war.
    In beiden Gebäuden schienen die meisten Fenster heil geblieben zu sein, aber von den Schindeln war die Farbe abgeblättert, und die unzähligen auf dem Boden herumliegenden Dachziegel deuteten darauf hin, daß man im Haus mit enormen Wasserschäden rechnen mußte.
    Kletterpflanzen hatten sich ungehindert ausgebreitet, drohten die großen Weiden, Eichen und Magnolien zu ersticken, krochen über die Fassade auf die Dachrinnen zu und verhüllten sogar schon einen der sechs Giebel des dreistöckigen Herrenhauses mit dem typisch viktorianischen Steildach.
    Aber es lag nicht nur an

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