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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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gab keinen Mord. Die haben Ihnen erzählt, sie würden Blut trinken, aber heißt das, dass es auch stimmt?«
    Carol erwiderte nichts darauf, ihre Haltung blieb jedoch ablehnend.
    »Leben sie etwa ewig?«
    »Das weiß ich nicht. Aber sie leben ziemlich lange.«
    »Das glauben Sie doch nur, weil die es Ihnen erzählt haben.«
    »Ich gehe davon aus, dass dem tatsächlich so ist. Sie haben etwas Archaisches an sich. So, wie sie denken und handeln, könnten sie aus einer anderen Zeit stammen. Gerlinde zum Beispiel! Sie benimmt sich wirklich so, als stamme sie aus den Fünfzigerjahren.«
    »Nun, vielleicht tut sie das ja auch.«
    »Ach, Rene, dann wäre sie ja in Ihrem Alter, aber sie sieht aus wie Anfang zwanzig.«
    »Wie heißt ihr Schönheitschirurg?«
    »Ich meine es ernst. Und dann ist da einer im Besonderen, Julien. Wenn Sie ihn sähen - als wäre er tatsächlich dem Mittelalter entsprungen. Aber da gibt es noch mehr, was ihn betrifft. Als habe er eine uralte Weisheit in sich ...«
    »Vielleicht haben sie ja das Elixier der ewigen Jugend gefunden«, meinte Rene, »und dieser Julien ist der Führer der Sekte. Das kommt gar nicht so selten vor. Ein Mann, der über so viel Charisma verfügt, dass die anderen ihm folgen!« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Becher und schlug die Beine übereinander. »Wissen Sie, Carol, damals hatten Sie Angst, HIV-positiv zu sein. Ist es da nicht möglich, dass Sie sich einfach wünschten, ihre Widersacher seien unsterblich? Dass sie wollten, dass es etwas gibt, das nicht vergeht?«
    Carol starrte ihre Therapeutin an. »Natürlich ist das möglich, glauben Sie etwa, darüber hätte ich mir nicht den Kopf zerbrochen? Aber träumen wir nicht alle davon?«
    »Nun ja, ich nehme an ...«
    »Ich meine, würden Sie nicht auch gerne ewig leben und niemals altern?«
    »Darauf können Sie wetten! Aber leider ist das nicht sehr realistisch. Wir alle müssen damit rechnen ...«
    »Bitte, Rene, hören Sie auf mit den Phrasen. Wie stehen Sie wirklich zum Sterben?«
    »Sagen Sie mal, wer ist hier eigentlich die Therapeutin?« Doch dann hielt sie inne und überlegte es sich. »Ich nehme an, wenn ich die Wahl hätte...«
    »... würden Sie sich für die ewige Jugend entscheiden!«
    »Ich fürchte, die Schönheitschirurgie ist das einzige Mittel, das ich dazu kenne. Es sei denn, mir würde einer Ihrer Vampire über den Weg laufen.«
    Carol richtete sich auf und blickte ihrer Therapeutin fest in die Augen. »Ich bin zu einer Entscheidung gelangt. Ich werde nach Bordeaux zurückkehren.«
    »Bekommen Sie beim Theater denn so lange frei?«
    »Ich rede nicht von Urlaub. Ich werde nach Bordeaux ziehen. Zumindest so lange, bis ich meinen Sohn gefunden habe.«
    Rene rückte unbehaglich ihren Stuhl zurecht. »Carol, ich glaube nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, über so etwas nachzudenken. Um ehrlich zu sein ...«
    »Mein Entschluss steht fest. Sie müssen das verstehen, Rene. Ich möchte, dass Sie es verstehen. Ich bin vierunddreißig Jahre alt und HlV-positiv - und sollte sich das eines Tages ändern, dann zum Schlechteren hin. Ich denke unaufhörlich an meinen Sohn und habe keine Zeit für weitere Therapien.«
    »Dann wäre es vielleicht an der Zeit, all dies endlich hinter sich zu lassen und mit Ihrem Leben weiterzumachen.«
    »Das geht auch nicht. Ich glaube, wenn ich jetzt nichts unternehme, werde ich niemals dazu in der Lage sein. Dann ist es nämlich zu spät.«
    »Sie meinen, weil das Virus aktiv werden könnte?«
    »Das ja, aber auch weil mein Sohn nächstes Jahr neun Jahre alt wird.«
    »Und was hat das mit all dem zu tun?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich habe so ein Gefühl, als ob ich ihn möglichst bald finden müsste, und ich weiß nicht, warum.«
    »Carol, ich wünschte, Sie würden es sich noch einmal überlegen.«
    »Ich habe es mir überlegt, seit ich aus Bordeaux zurück bin. Ich muss gehen.«
    »Nun, sowohl beruflich als auch privat rate ich Ihnen davon ab, aber das wissen Sie ja. Versprechen Sie mir eines? Versprechen Sie, dass Sie sich häufig bei mir melden werden! Halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich möchte einmal im Monat einen Brief von Ihnen, und rufen Sie mich hin und wieder an. Wir haben eine lange Zeit miteinander verbracht - an die neun Jahre. Sie bedeuten mir etwas als Mensch und nicht nur als Klientin. Ich sehe in Ihnen beinahe so etwas wie eine Tochter.«
    Renes Worte berührten Carol zutiefst. Ihre Therapeutin hatte sich ihr

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