Kind der Prophezeiung
Pol davon zu erzählen würde sie in die Sache verwickeln, und das wollte er nicht. Er war sich nicht ganz sicher weshalb, aber er wußte, daß die dunkle Gestalt ein Feind war, und obwohl diese Gedanke etwas erschreckend war, hatte er doch auch etwas Aufregendes an sich. Keine Frage, Tante Pol konnte mit diesem Fremden fertig werden, aber wenn sie das tat, das wußte Garion, würde er etwas sehr Persönliches und aus irgendeinem Grunde auch sehr Wichtiges verlieren. Deshalb sagte er nichts.
»Es war gar nicht so gefährlich, Tante Pol«, sagte er statt dessen ziemlich lahm. »Ich bekam gerade Ahnung davon, wie man schwimmt. Es wäre alles in Ordnung gewesen, wenn ich mir nicht den Kopf an diesem Balken gestoßen hätte.«
»Aber du hast dir den Kopf gestoßen«, sagte sie.
»Nun ja, aber es war nicht so ernst. In ein, zwei Minuten wäre ich schon wieder in Ordnung gewesen.«
»Unter den gegebenen Umständen bin ich nicht sicher, ob du überhaupt noch ein, zwei Minuten gehabt hättest«, sagte sie offen.
»Nun«, stammelte er und entschloß sich dann, das Thema fallenzulassen.
Das markierte das Ende von Garions Freiheit. Tante Pol sperrte ihn in die Spülküche. Er lernte jede Beule und jeden Kratzer auf jedem Topf in der Küche genauestens kennen. Einmal schätzte er düster, daß er jeden einzelnen einundzwanzigmal pro Woche scheuerte. In einer scheinbaren Orgie von Durcheinander konnte Tante Pol plötzlich nicht einmal mehr Wasser kochen, ohne mindestens drei oder vier Töpfe schmutzig zu machen, und Garion mußte jeden schrubben. Er haßte es und dachte ernsthaft daran auszureißen.
Als der Herbst voranschritt und das Wetter schlechter wurde, waren auch die anderen Kinder mehr oder weniger ans Haus gefesselt, und es war nicht mehr so schlimm. Rundorig war natürlich nur noch selten mit ihnen zusammen, da er aufgrund seiner Körpergröße mehr oder weniger regelmäßig Arbeit leisten mußte.
Wenn er konnte, schlüpfte Garion fort, um mit Zubrette und Doroon zusammen zu sein, aber es machte ihnen nicht mehr so viel Vergnügen, ins Heu zu springen oder in den Ställen und Scheunen endlos Fangen zu spielen. Sie hatten ein Alter und eine Größe erreicht, in dem die Erwachsenen sehr bald solchen Müßiggang bemerkten und Aufgaben fanden, um sie zu beschäftigen. Meist saßen sie an irgendeinem abgelegenen Platz und unterhielten sich einfach – das heißt, Garion und Zubrette saßen da und lauschten dem endlosen Strom von Doroons Geplapper. Dieser kleine, flinke Junge, so unfähig, ruhig zu sein wie stillzusitzen, konnte anscheinend stundenlang über ein halbes Dutzend Regentropfen reden. Die Worte sprudelten ohne Unterlaß aus ihm heraus, während er die ganze Zeit in Bewegung war.
»Was ist das für ein Zeichen auf deiner Hand, Garion?« fragte Zubrette an einem regnerischen Tag und unterbrach damit Doroons Geplapper.
Garion sah auf den vollkommen runden weißen Fleck in seiner rechten Handfläche.
»Ich habe das auch schon bemerkt«, sagte Doroon und wechselte mitten im Satz das Thema. »Aber Garion ist in der Küche aufgewachsen, nicht wahr, Garion? Wahrscheinlich hat er sich da einmal verbrannt, als er noch klein war – ihr wißt schon, die Hand ausgestreckt und, bevor ihn jemand zurückhalten konnte, auf etwas Heißes gelegt. Ich wette, Tante Pol ist deswegen böse gewesen, denn sie kann schneller böse werden als jeder andere, den ich kenne, und sie kann wirklich…«
»Es war schon immer da«, sagte Garion und zeichnete den Umriß mit seinem linken Zeigefinger nach. Er hatte es vorher nie genau betrachtet. Das Mal bedeckte die ganze Handfläche und schimmerte in einem bestimmten Licht schwach silbrig.
»Vielleicht ist es ein Geburtsmal«, vermutete Zubrette.
»Ich wette, das ist es«, sagte Doroon rasch. »Ich habe einmal einen Mann gesehen, der ein großes rotes Mal im Gesicht hatte – einer von den Fuhrleuten, die im Herbst kommen, um das Rübenkraut abzuholen. Jedenfalls bedeckte das Mal seine ganze Gesichtshälfte, und zuerst dachte ich, es wäre ein großer blauer Fleck, den er sich in einer schrecklichen Prügelei zugezogen haben mußte, aber dann sah ich, daß es gar kein blauer Fleck war, sondern – wie Zubrette gerade sagte – ein Geburtsmal. Ich frage mich, wo so etwas herkommt.«
An jenem Abend, nachdem er sich zum Schlafen gelegt hatte, fragte er Tante Pol danach. »Was ist das für ein Mal, Tante Pol?«
Sie blickte auf, während sie ihr langes, dunkles Haar bürstete. »Du
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