Kind der Sünde (German Edition)
Und Amber spürte es offensichtlich auch. Sie war zusammengezuckt und rieb sich die Arme, als fröstelte sie. Ein dunkler, wabernder Nebel, noch dunkler als die Umgebung, erschien, zog sich zusammen, und ein hochgewachsener Mann trat aus der schwarzen Wolke. Er hatte dunkles Haar und blassgraue Augen, je zwei Ohrringe links und rechts, den dunklen Schatten eines Dreitagebarts und ein gefährliches Lächeln.
„Hi, Malthus“, begrüßte Kai ihn und warf ihm die Wagenschlüssel der Corvette zu, die der andere geschickt auffing. „Prima, dass du gekommen bist.“
Malthus Krayl warf einen neugierigen Blick auf Amber, stellte wie erwartet aber keine Fragen. „Nächstes Mal, wenn ich jemanden für einen solchen Job brauche, werde ich mich an dich wenden“, meinte er nur.
„Kannst das auch für mich abliefern?“, fragte Kai und hielt ihm die Schwarze Seele hin.
„Kann ich die dann auf mein Konto buchen?“
„Nein. Aber ich schulde dir dann zwei Jobs.“
„Abgemacht.“ Wieder streifte Malthus Amber mit einem Seitenblick.
Kai, dem das nicht entging, war dennoch nicht bereit, eine Erklärung für ihre Anwesenheit abzugeben. Es war seine Angelegenheit, und es war nicht seine Art, unnötig Worte zu verlieren. Er blieb für sich, machte seine Arbeit, und die machte er gut. So sicherte er sich seine Existenz.
Nachdem er Malthus das Energieband mit der Schwarze Seele sowie die Tasche, in der das Herz steckte, übergeben hatte, wandte Kai sich an Amber und meinte: „Machen wir, dass wir wegkommen.“
„Wie denn? Dein Wagen ist Schrott.“
Kai seufzte. „Vielleicht bekommt man ihn ja wieder hin. Aber fürs Erste müssen wir wohl den Hummer nehmen.“
Erst als sie im Wagen saßen und losgefahren waren, fragte Amber: „Wohin fahren wir überhaupt?“
Kai merkte, wie sehr es ihr missfiel, keine Antwort zu bekommen. Es war nicht seine Absicht, sie vor den Kopf zu stoßen. Aber er wusste einfach nicht, wie er es ihr erklären sollte. Er sah sie jetzt in einem anderen Licht und musste erst einmal verarbeiten, was er gehört hatte. Und er musste die verschiedenen Teile des Puzzles zusammenbekommen, ob ihm das Ergebnis nun gefallen würde oder nicht.
„Wo sind wir?“ Amber richtete sich in ihrem Sitz auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Seit zwanzig Stunden waren sie jetzt unterwegs und hatten zwischendurch nur zum Tanken angehalten.
Dabei hatten sie über tausend relativ belanglose Dinge gesprochen, Veränderungen, die sie im Laufe der langen Jahre beobachtet hatten, Erfindungen und technische Neuerungen, Plätze auf der Welt, die sie besucht hatten. Amber hatte erzählt, wie sie auf der Chinesischen Mauer spazieren gegangen war. Kai hatte seine Tauchabenteuer im Great Barrier Reef vor der australischen Küste geschildert. Er hätte sie beinahe eingeladen, sie einmal dorthin mitzunehmen, aber sie beide wichen allen persönlichen Themen geflissentlich aus und verstummten sofort, wenn sie Gefahr liefen, zu intim zu werden. In jedem dieser Momente verfielen sie ins Schweigen, und Kai musste daran denken, wie sie sich mitten in dem Blutbad geküsst hatten.
„Wir sind jetzt nicht mehr weit von Cheyenne“, sagte er, während er auf den Parkplatz eines Motels einbog, das aus unerfindlichen Gründen Central Motel hieß. „Warte im Wagen. Ich besorge uns ein Zimmer.“
Er zögerte einen Moment, bevor er ausstieg und wartete, ob Amber auf getrennten Zimmer bestehen würde – oder zumindest auf getrennte Betten. Doch es kam nichts von ihr, nur ein stummer Seitenblick. Dann schaute sie durch die Windschutzscheibe und sagte: „Es regnet.“
In der Tat. Es regnete nicht nur, es goss wie aus Kübeln.
„Wie an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben.“
„Mhm.“ Auch Kai starrte durch die Scheibe in den strömenden Regen, gegen den die Scheibenwischer ankämpften. Wie lange war das schon her? Beinahe nicht mehr wahr.
Dann machte er sich auf den Weg in die Rezeption, wo er die Zimmerrechnung in bar beglich und den Schlüssel erhielt. Fast schon im Hinausgehen entdeckte er ein Regal mit einer kleinen Auswahl an Toilettenartikeln und Snacks, und so kaufte er noch zwei Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife und Shampoo. Dann kehrte er zum Wagen zurück und fuhr ihn zur bezeichneten Zimmernummer, die, wie er es gewünscht hatte, von der Straße abgewandt am Ende des Blocks lag. Auf dem Parkplatz war kein weiterer Wagen zu sehen. Zwei oder drei hatte Kai bei ihrer Ankunft vor dem Motel stehen sehen.
Der kurze Weg
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