Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
was mit ihm los ist. Aber Professor Joyce sagte, sie hätte im Fall Marie Wilkinson eine Anomalie entdeckt. Sie war die Einzige, die in einem Gebäude ermordet wurde. Ich weiß nicht, warum Wilkinson es so eilig hat, aber irgendwas stimmt nicht mit ihm. Er muss hier irgendwo sein.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, steckte ich das Handy wieder in die Tasche und konzentrierte mich auf mein Ziel. Die Entbindungsstation, dort lag Rachel. Die Tür war verschlossen. Man musste einen Knopf drücken und über Sprechfunk seinen Namen nennen, um hineinzugelangen. Wilkinson hatte hier gar nichts zu suchen. Man würde ihn nicht hineinlassen.
Trotzdem musste ich mich vergewissern, ob mit ihr alles in Ordnung war.
Ob mit beiden alles in Ordnung war.
Ich drückte auf die Taste der Sprechanlage vor der Entbindungsstation. Fast augenblicklich öffnete sich die Tür, ohne dass nach dem Namen gefragt worden wäre. Das darf doch nicht wahr sein. Von meiner Frau und meinem Sohn konnte Wilkinson nichts wissen, aber vielleicht war er in Panik geraten und wollte sich hier verstecken. Ich musste nachsehen.
Ich hielt der ersten Krankenschwester meine Polizeimarke entgegen, die mir über den Weg lief.
»Polizei. Außer mir geht hier jetzt niemand mehr rein oder raus. Verstanden?«
»Wie bitte?«
Ich deutete wütend hinter mich. »Verriegeln Sie die Tür. Halten Sie sie geschlossen. Ist in den letzten Minuten jemand reingekommen?«
»Nein …«
Sie war sich nicht sicher.
»Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt.«
Ich rannte um die Ecke. Auf der Station gab es mehrere Abteilungen, die alle frei zugänglich waren, und in der nächstliegenden hatte ich mich letzte Nacht von Rachel verabschiedet. Die Station bestand aus sechs Abteilen, drei auf jeder Seite, jeweils durch grüne Vorhänge voneinander getrennt. Sie lag links in dem mittleren. Die Vorhänge waren vorne zugezogen. Ich schob den Stoff zur Seite und sah hinein.
Rachel lag auf dem Rücken und schlief. Den Kopf hatte sie zur Seite gewandt, der Mund stand leicht offen, die Decke hob und senkte sich sanft. Im Babybett daneben unser Sohn, auch er schlief, in einer Haltung, die fast spiegelbildlich war. So klein und verletzlich. Aber beiden ging es gut.
Eine Welle der Erleichterung durchströmte mich – widersinnig, aber wahr.
»Passt auf euch auf«, flüsterte ich.
Ich zog die Vorhänge wieder zu und rannte zum Eingang zurück, wo die Schwester, mit der ich gesprochen hatte, Posten bezogen hatte.
»Niemand darf rein«, ordnete ich noch einmal an. »Und niemand raus.«
»Ich weiß.«
»Die Polizei ist schon unterwegs.«
Wieder zurück auf dem Gang, lief ich gleich zur Intensivstation für Neugeborene – denn natürlich hatte es Wilkinson nicht auf Rachel abgesehen. Das war der Punkt! Er wusste gar nicht, dass meine Frau schwanger gewesen war, und hatte deshalb draußen so reagiert. Ich wiederum konnte mir erklären, warum er hier war. Für ihn aber konnte es nur einen Grund für mein Erscheinen geben. Er hatte gedacht, dass ich seinetwegen hier war.
Warum, wusste ich nicht, aber klar war, dass er vor mir weggerannt war. Er war zurückgekommen, weil …
Die Intensivstation für Neugeborene.
Natürlich war auch diese Tür verschlossen. Ich drückte auf die Taste der Sprechanlage und wartete. Einen Moment später krächzte es mir entgegen – wieder sprang die Tür umstandslos auf. Ich drängte hinein, während ich schon unter meine Jacke griff und den Druckknopf meines Pistolenholsters öffnete, ohne die Waffe zu ziehen. Ich wollte nur vorbereitet sein, für alle Fälle.
Du wirst sie nicht brauchen.
Vielleicht aber doch.
Der Empfangstresen war ein kleines Stück entfernt, jenseits einiger geschlossener Türen. Dahinter saßen zwei Schwestern, denen ich unaufgefordert meine Polizeimarke zeigte, als ich bei ihnen war.
»Wilkinson«, erkundigte ich mich. »Wo ist er?«
Die Krankenschwester mir gegenüber faltete langsam ihre Zeitung zusammen, möglicherweise verblüfft von meinem plötzlichen Erscheinen.
»Bitte …?«
» Tony Wilkinson . « Sie starrte mich immer noch ausdruckslos an. Ich hatte Mühe, mich an das zu erinnern, was er sagte, als wir ihn vernahmen. »Das Baby heißt Jake. Ist er hier? Der Vater meine ich.«
»Ich weiß es nicht.«
»Ist in den letzten paar Minuten jemand hier hereingekommen?«
»Nein, nicht, dass ich wüsste.« Nervös prüfte sie eine Liste, die sie hervorgeholt hatte, und deutete dann zurück in die Richtung, aus der ich gekommen
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