Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
den Vernehmungsraum betreten hatten. Von sechs bis der Laden dichtmachte, irgendwann zwischen zwei und drei, war er in O’Reillys Bar gewesen, um dann in Begleitung einer Dame mittleren Alters aus dem Osten der Stadt zu entschwinden. Er hatte die Nacht in ihrer Wohnung verbracht. Wir hatten ihn aufgelesen, als er nach seinem One-Night-Stand nach Hause kam, vorausgesetzt, er hatte den überhaupt zustande gebracht.
Auf den ersten Blick ein gutes Alibi. Natürlich stank er nach Alkohol, und auf seinen Klamotten waren keine Blutspuren zu finden, obwohl er sie offenkundig mindestens vierundzwanzig Stunden am Leibe getragen hatte. O’Reillys war eine heruntergekommene, karg möblierte Kaschemme mit einem Tresen, Billardtischen und einer angestrahlten Tanzfläche neben den Toiletten, in der es schon so viel Ärger gegeben hatte, dass der Besitzer eine Überwachungskamera installieren ließ. Außerdem war sie weit genug vom Quadrateviertel entfernt. Die Anschrift, die er uns von der anonymen Dame mit dem ausnehmend schlechten Geschmack gegeben hatte, lag noch weiter entfernt. Ich kannte die Gegend. Auch dort waren viele Wohnblöcke mit Überwachungskameras ausgestattet worden.
Also war das Alibi entweder besonders gut oder grottenschlecht.
»Sie waren gestern Abend betrunken.«
»Ja, na und? Das ist doch kein Verbrechen.«
»Und Sie haben es diesmal fertiggebracht, nicht auszurasten?«
»Genau.«
»Sind Sie sicher?«
Er antwortete nicht.
Die Tür ging auf, und eine junge Polizistin steckte den Kopf herein. Sie schob das Kinn vor, um mir zu bedeuten, sie habe mir etwas mitzuteilen. Laura und ich schoben unsere Stühle zurück. Aber ich musste mit der jungen Kollegin eigentlich gar nicht mehr reden. Der Ausdruck im Gesicht der Polizistin sprach Bände. Tom Gregory hatte ein sehr gutes Alibi.
Im Beobachtungsraum fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar und ließ den Blick nicht von dem kleinen Monitor, auf dem ich Gregory sah, der immer noch im Vernehmungsraum saß. Überflüssig zu sagen, dass sich mein Haar natürlich nicht wieder so ordentlich zu einer Frisur formte, wie bei Laura. Ich mache mich für solche Eventualitäten nicht zurecht. Ich nehme sie kaum wahr.
»Er muss es getan haben«, sagte ich. »Er muss. «
»Hat er aber nicht. Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Hicks. Wir haben Videoaufnahmen, die ihn an allen Orten zeigen, die er uns genannt hat. Er kann es unmöglich gewesen sein.«
»Er könnte jemanden bestochen haben.«
Aber das war nichts als der verzweifelte Griff nach dem Strohhalm. Tief in mir wusste ich, dass ich mit meiner Theorie falschlag und alles noch einmal überdenken musste.
»Er kann doch kaum seine Miete zahlen«, sagte Laura. »Und der springende Punkt ist doch, dass er solche Sachen allein durchzieht. Der Kerl ist irre. Versteh mich nicht falsch, aber seine Aktionen sind triebgesteuert, die kommen aus heiterem Himmel. Das ist nicht der Typ, der jemanden anheuert, um die Dreckarbeit für sich erledigen zu lassen.«
»Nein, ich weiß.«
»Außerdem, warum würde diese Person unseren obdachlosen Unbekannten auch noch umbringen lassen?«
»Schon gut, Laura.«
»Auftragskiller legen normalerweise nicht noch ein zweites, beliebiges Opfer als Zugabe drauf. Ich glaube, das muss ich jetzt mal festhalten, damit wir auf einer Wellenlänge sind.«
»Unglückliche Wortwahl, aber ja, jetzt sind wir’s.«
Auf dem Bildschirm sah ich, wie die Polizistin, die uns die schlechte Nachricht überbracht hatte, den Vernehmungsraum betrat, um Tom Gregory zurück in seine Zelle zu bringen.
»Ein Mörder«, sagte ich, »zwei Opfer, und die Verbindung zwischen den beiden Fällen kennen wir immer noch nicht.«
»Ich stimme dir zu.«
Ich sah sie an. »Aber es wird eine Verbindung geben, Laura. Kein Mensch bringt mir nichts, dir nichts zwei Leute um. Es gibt einen Grund. Einen, den wir nur noch nicht sehen.«
»Ach ja? Aber gerade hast du doch noch gesagt, dass du eine Verbindung für ausgeschlossen hältst.«
»Weil es unwahrscheinlich war. Jetzt ist es die wahrscheinlichste Erklärung. Verstehst du? Ich liege nicht wirklich falsch. Ich passe meine Theorie nur den vorliegenden Fakten an. Solltest du auch mal versuchen.«
Laura schmunzelte. »Und was machen wir mit ihm?«
Ich sah wieder auf den Bildschirm. Tom Gregory war verschwunden, also drückte ich auf den Schalter, und der Bildschirm wurde schwarz.
»Kein Grund, ihn hierzubehalten«, sagte ich.
»Nein.«
Ich sah auf meine
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