Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
jemanden gibt, dem man nicht gleichgültig ist.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich noch denken soll«, sagte sie.
»Tut mir leid. Es war ein harter Tag.«
»Ja, ich hab’s in der Zeitung gelesen. Willst du darüber reden?«
»Eigentlich nicht.«
Sie nickte, ohne sich umzudrehen, als hätte sie genau diese Antwort erwartet. Ich habe nie zu den Detectives gehört, die ihre Arbeit mit nach Hause schleppen. Ich hänge ihr nicht nach, normalerweise jedenfalls nicht. Meine Tage sind voller abscheulicher Verbrechen. Ich würde krank werden, wenn ich sie alle mit mir herumtrüge. Ein paar bleiben natürlich immer hängen, aber ich bin nicht dazu gemacht, mehr als nötig mit mir herumzuschleppen, und was soll es letzten Endes auch bringen? Tatsache ist, dass Dinge in die Brüche gehen; in meinem Job sind es Menschen und deren Leben. In den meisten Fällen bleibt einem nichts anderes übrig, als hinterher aufzuräumen und weiterzumachen. Was gibt es sonst zu sagen? Jemand hat aus einfältigen und belanglosen Gründen etwas sehr Böses getan. Wir bestrafen ihn dafür, wenn wir können, und das soll es dann auch gewesen sein.
Das Ende.
»So ist es eben«, sagte ich. »So ist es immer.«
»Das stimmt nicht – ich meine, so, wie du heute Abend drauf bist. Du bist nicht viel anders als an anderen Abenden auch.«
Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was sie meinte, und als ich es begriffen hatte, tat es noch mehr weh als das Schulterzucken. Der Niedergang unserer Beziehung war für mich immer noch ein vorübergehendes Phänomen – eine schroffe Klippe, die wir überwinden würden, um unseren Weg auf der anderen Seite gestärkt fortzusetzen –, und ich hatte gedacht, dass Rachel genauso empfinden würde. Das war sie also: die Wahrheit. Für sie war es Normalität geworden. Keine Episode in unserem gemeinsamen Leben, das war unser gemeinsames Leben. So wie ich jeden Abend war.
»Und wie bin ich?«
»Als wärst du gar nicht wirklich hier.«
Ich antwortete nicht. Es fühlte sich plötzlich so kalt und leer in der Küche an, dass es einem Wunder gleichkam, dass es in dem Topf auf dem Herd noch brutzelte. Während Rachel weiter umrührte, sagte ich: »Es tut mir leid.«
Wieder zuckte sie mit den Schultern, schwieg einen Moment und seufzte dann. Schließlich warf sie mir meine eigenen Worte zurück, aber so halbherzig, dass sie mich kaum erreichten.
»Es ist so, wie es ist.«
Als wir gegessen hatten, ging Rachel früh ins Bett.
Inzwischen bekam sie nicht mehr genügend Schlaf, trotz des Schwangerschaftskissens, mit dem sie auf der Seite lag und das sie sich unter den gewölbten Bauch und zwischen die Beine geschoben hatte, um die Hüften zu entlasten. Also nahm sie sich so viel davon, wie sie kriegen konnte. Sie war schon in Mutterschutz, musste nicht mehr ins Labor, so dass sie am Tag Gelegenheit hatte, Schlaf nachzuholen. Wenn es ihr gutging, sagte sie immer, dass sich ihr Körper auf die Zeit vorbereitete, wenn das Baby da war.
Ich wollte noch nicht schlafen gehen, also nahm ich mir ein Bier und ging damit auf die kleine Veranda vor unserem Haus und horchte in die Nachbarschaft hinaus. Heute war es ruhig. Nicht ein Auto unterwegs, keine menschliche Stimme zu hören. Irgendwo in der Ferne das Bellen eines Hundes, das zwischen den niedrigen Häusern weitergetragen wurde.
Die Häuser in diesem Viertel waren grau und flach. Ein Sammelsurium architektonischer Belanglosigkeit, erleuchtet von nicht mehr als ein paar Straßenlaternen und hin und wieder einem hellgelb strahlenden Fenster in einem der Häuser, die bewohnt waren. Die Straßen waren breit. Das Gras auf den Randstreifen ordentlich und kurz geschnitten. Unser Haus war Angehörigen der Polizei vorbehalten und befand sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne. Auch wenn es von der Armee schon seit über zwanzig Jahren nicht mehr genutzt worden war, hatte es sich seinen Charakter dennoch bewahrt.
Aber das ist überall so. Ich erinnere mich, wie ich als Junge den riesigen Lastern zusah, die die Raketen und Flugzeuge transportierten, die in den Stahlwerken auf der Nordseite des Flusses gebaut wurden. Die Fabriken stehen heute noch dort und bauen dieselben Rohre, Scharniere und Computerchips jetzt nur in andere Sachen ein.
Landesgrenzen, Technologie, Politik, Handlungsweisen im Kleinen wie im Großen – rückblickend betrachtet, sind sie immer geformt und geprägt von irgendeiner Art von Gewalt.
In unserer Region wird einem das besonders deutlich vor
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