Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
sein, als er damit auf Gibson eindrosch, so dass er bei Evans deutlich mehr Spuren hinterlassen hat.«
Hörbar ließ ich die Atemluft entweichen.
Das Grauen war das eine, die Bilder, die es heraufbeschwor, aber dennoch versuchte ich, mich auf das zu konzentrieren, was dahintersteckte. Hatte der Mörder versucht, keine Spuren zu hinterlassen? Das ergab doch keinen Sinn.
»Wollte er nur die Waffe sauber halten?«
»Möglich«, sagte Laura. »Vielleicht wollte er sie auch bei sich tragen, ohne Verdacht zu erregen. Vorher natürlich. Danach dürfte das wohl kaum mehr möglich gewesen sein, vermute ich.«
»Es sei denn, er hat die Tüte umgedreht.«
Laura verzog wieder das Gesicht. »Du hast ein krankes Hirn, Hicks. Allerdings wurden bei der Suche am Fluss tatsächlich eine Menge alter Tüten gefunden, die uns eine Zeitlang beschäftigen dürften. Ich bin gespannt, was sie bei der Durchsuchung der Mülleimer in der Gegend finden. Vielleicht hat er die Tüte ja einfach weggeworfen, als er fertig war, zerrissen, wie sie war.«
»Kann sein.«
Ich glaubte allerdings nicht, dass wir so viel Glück haben würden. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und dachte über alles nach. Unser Mörder hatte sich vorgenommen, Vicki Gibson umzubringen; das ist ihm auch gelungen. Dann ging er ein kleines Stück weiter, fand Evans schlafend auf einer Bank liegen und brachte auch ihn um, auf noch brutalere Weise.
»Wir müssen das Bindeglied zwischen den beiden Fällen finden.«
»Wenn es eines gibt.«
»Irgendetwas muss es geben. Wenn nicht, dann haben wir es mit einem Typen zu tun, der rein zufällig irgendwelche Leute umbringt. Einfach nur so. Und das ergibt überhaupt keinen Sinn. Nicht. Den. Geringsten.«
»Vielleicht doch nicht ganz zufällig«, sagte Laura.
»Wie meinst du das?«
Sie seufzte und deutete flüchtig auf den Papierstapel, der auf dem Schreibtisch lag. Die Zeugenaussagen, die Anhörungen, die uns kein Stück weitergebracht hatten, weil aus unerfindlichen Gründen niemand etwas gesehen hatte.
»Hast du eine Erklärung dafür?«
»Vielleicht war sie einfach nur die Erste, die ihm über den Weg gelaufen ist, und Evans eben der Zweite.«
Ich warf einen Blick auf die Zeugenaussagen und dachte darüber nach. Ein Mörder, der seinen Hammer in einer Einkaufstüte verbirgt. Einfach so durch die Gegend läuft. Harmlos. Ganz unauffällig.
Laura sagte: »Wir haben uns gefragt, wie er es geschafft hat, sich Vicki Gibson genau zu einer Zeit zu schnappen, zu der niemand unterwegs war und niemand etwas gesehen hat. Aber vielleicht hat sich das alles ja auch gar nicht so ereignet.«
»Er hat sie gar nicht gesucht«, sagte ich. »Er war rein zufällig an einem Ort, an dem sich kein Zeuge befand, als sie ihm über den Weg lief.«
Laura nickte. »Ja, so kann es sich abgespielt haben.«
»Das würde bedeuten, es könnte …«
»Jeder«, sagte sie. »Ja, ich glaube, es könnte jeder gewesen sein. Absolut jeder.«
11
K ramers Herz schlägt aufgeregt, während er geht.
Der Atem steht ihm sichtbar vor dem Gesicht. Es ist kalt an diesem Abend, kein Wölkchen am Himmel. Normalerweise sind hier in der Stadt keine Sterne zu sehen. Die Lichtverschmutzung lässt das nicht zu. Ein paar wenige haben sich aber trotzdem durchgekämpft. Wie eine abgenutzte Silbermünze hängt der Mond hell und voll am Himmel über der Stadt.
Er zittert, während er läuft, klappert mit den Zähnen, was zum Teil der Kälte, zum größeren Teil jedoch dem Adrenalin geschuldet ist.
Das ist gut. Als er seinen Job als Türsteher antrat, erklärte ihm Trevor, dass es ganz normal sei, Angst zu haben. Jeder habe Angst vor einer Schlägerei. Wenn du da stehst, darfst du sie deinem Gegenüber niemals zeigen. Äußerlich jedenfalls nicht. Gestehst du sie dir selbst nicht ein, fährt sie Schlitten mit dir. Und wenn du klug bist, nutzt du das Adrenalin. Das verschafft dir Überlegenheit.
Trotzdem will er sie unterdrücken, bevor er sein Ziel erreicht. Er sammelt Speichel im Mund, den er mit der Zunge hin und her bewegt. Auch das ist ein Rat von Trevor: Zügle deine Angst, indem du deinen Speichel hin und her rollst. Und es funktioniert, auch wenn er nicht weiß, warum.
Er setzt seinen Weg fort, bemüht, ruhig und trotzdem wachsam zu bleiben, alles parat zu haben, für den Fall, dass er es braucht.
Es ist nicht mehr weit. Nicht mehr lang.
Kramer überprüft die Einkaufstüte, die er bei sich trägt. Sollte ihn jemand beobachten, würde es so aussehen, als
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